von Pocahontas
“Weißt du eigentlich, dass du der Star auf Radio Camino bist?” fragte mich Yodi als wir durch eines der schönen mittelalterlichen französischen Dörfer schlenderten. Radio Camino, noch nie davon gehört, was soll das denn sein? So nennt man am Jakobsweg den Informationsfluss zwischen den Pilgern, ganz nach Klatsch und Tratsch-Manier. So ist es möglich, dass man Leute namentlich mitsamt Lebensgeschichte kennt, die man noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hat. Oft lagen Tagesmärsche zwischen Protagonist und Geschichtenerzähler. Auch ich war anscheinend immer wieder Gesprächsthema. Als Weitgepilgerte gehörte ich zu den bunten Hunden am Weg. So bekam ich unter anderem verschiedene Namen. In der Schweiz wurde ich in “die Österreicherin mit dem Affenzahn” oder “Speedy” umgetauft. In Frankreich kannte man mich unter “Camino Elf”. Damit konnte ich leben, irgendwie nett eine Elfe zu sein.
Gemeinsam mit Francois war ich durch die Weingärten Frankreichs unterwegs. Übrigens ist der Herbst die perfekte Zeit um den Weg zu gehen, all die köstlichen Früchte am Wegesrand, wie im Schlaraffenland, süße Weintrauben so weit das Auge reicht. Wir unterhielten uns mit Händen und Füßen, da Francois fast kein Englisch sprach und mein Französisch nicht gerade zu meinen Stärken gehört. Es war unglaublich wie gut wir uns trotz Sprachbarriere verstanden und welch Spaß wir hatten. Wir waren einfach auf derselben Wellenlänge. “Oachkatzlschwoaf” konnte Francois schon ziemlich gut aussprechen nach einigen gemeinsamen Kilometern mit mir. Auch wenn für ihn dieser österreichische Zungenbrecher eher klang wie: „le chat est soif“ = die Katze ist betrunken.
Ich erzählte Francois von meinen Erlebnissen in der Schweiz. Dort hatte ich des Öfteren unter freiem Himmel geschlafen, mit Schlafsack und Yogamatte unterm Sternenzelt. Es war Sommer und auch in den Nächten angenehm warm. Da die Preise in der Schweiz unglaublich hoch sind für Quartier und Essen, konnte ich mir so ein bisschen was ersparen. Ich genoss die Freiheit und schlief gerne draußen in der Natur. Dennoch fühlte ich mich manchmal wie eine Obdachlose. Vor allem als mich einmal eine Frau fragte:“Und unter welchem Baum schläfst du heute Nacht?“ War es wirklich so offensichtlich, dass ich nur darauf wartete, dass es dunkel wurde, um mich unbemerkt in einem Park am Thunersee schlafen zu legen?! Anscheinend ja.
Ich versuchte Francois zu vermitteln wie ich mich in der Schweiz manchmal gefühlt hatte und probierte es auf Französisch:“Je me sens comme une clochette.“ Francois schaute etwas verdutzt. Ich wusste, dass Obdachloser “clochard” heißt und formulierte es auf meine Art in die weibliche Form um. Als Francois verstand, begann er lauthals zu lachen. “ Clochette heißt Glocke. Oder auch ”Tinkerbell“, sozusagen Elfe.“ Wie passend!
© Pocahontas 2021-03-08