Der Cicisbeo

Wolfgang Mayer König

von Wolfgang Mayer König

Story
1725 – 1883

Wolfgang Mayer König

Die sogenannte Liebe in Venedig gespielt als beliebtes Spiel: „Biribi, Primero, Bassette, Piquet oder Pharao“. Geradezu verrückt vor gekünstelter Heiterkeit. Die Mechanik aller Mirakel durchschaut. In eine Truhe gesperrt, um singend und schreiend vom ständigen Nasenbluten geheilt zu werden. Oder zu fürchten, ein Toter liege nebenan, und dabei zu bemerken, es sei nur der eigene eingeschlafene Arm gewesen. Überall phantastische Rezepte zur Goldherstellung , dafür Dilettanten zu finden, die sich für einen Blödsinn begeistern lassen,eine Lotterie ins Leben rufen,einer einst schönen Moribunden bei ihrer Wiedergeburt im Körper eines Knaben behilflich sein, ihn mit ihr zu zeugen versprechen, bei weit gespreizten Beinen solle aus deren Schoß auch Signoras Seele ausfahren. Und die mehr als eintausend Huren, die Venedig durchschlendern, ein Blumensträußchen hinter dem Ohr. Aber Huren benehmen sich oft menschlicher als Geliebte und Gatten. Deshalb kauft sich Casanova einen Papagei, dem er nur einen Satz einlernt:„Signora Chapillon ist eine noch schlimmere Hure als ihre Mutter“. Auch Friedrich Nietzsche, von Richard Wagner von Venedig aus brieflich gequält, er solle ihm in Basel seidenen Unterhosenstoff besorgen, zieht nach dem Tod des Meisters wieder nach Venedig, zu einer Hure nahe der Rialtobrücke. Noch bei seiner Einlieferung ins Irrenhaus singt er, ständig wiederholend, ein venezianisches Gondellied, bevor er endgültig verstummt. Hier macht sich einer,der glaubt, mit seiner eigenen Gattin auf der Piazetta zu promenieren, zur Witzfigur. Goldoni sagt, Eifersucht sei eine ordinäre und veraltete Leidenschaft. Eheliche Pflichten überlassen die Gatten bereitwillig dem Nebenbuhler und die täglichen Zuwendungen dem „cicisbeo“. Er ist eine entwickeltere Art als ein junger Eunuch. Denn er verzichtet freiwillig auf Art eines Troubadours auf das Ziel seiner Anbetung, die Abgeltung seiner Dienste in barer fleischlicher Münze. Denn er gefällt sich darin, seiner Gebieterin Tag und Nacht zu Diensten zu sein. Er ist ihr Spiegelbild, ihre innere Stimme, die sie auf Schritt und Tritt begleiten. Er berät sie in Fragen der Konversations-Koketterie, der Perückenhöhe und der Frisur, er schaut auf ihr Hündchen und umtanzt ihre Sänfte. „Dreispitz“, „ bauta“und Täschchen unterliegen seiner Mitbestimmung. Der „cicisbeo“ darf auch der Morgentoilette beiwohnen. Auch bei Unpässlichkeit ist er zugegen. Warum sollte es der Gatte sein ? Denn mitten in den sonstigen Liebesgefechten werden die Masken vertauscht, sieht man sich gemeinsam in den kerzenerhellten Spiegel, um selbstverliebt den Besitz auf das eigene Spiegelbild anzumelden, die Lust des Anderen gegenseitig zu belauschen, wie durch das Gemälde eines Stillebens, in welchem an Stelle eines Blumenkelchs ein Loch gebohrt wurde, um dem Liebesakt lauschend und erspähend beizuwohnen.

© Wolfgang Mayer König 2020-04-26

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