Der erste Blick

Vanessa Hillen

von Vanessa Hillen

Story

»Hab ich zu viel versprochen?«, Stella sieht mich über den Rand ihrer Sonnenbrille an und grinst wissentlich. Lachend lege ich meinen Kopf in den Nacken und schließe meine Augen. Ich spüre die Sonne auf meinem Gesicht, auf meinen Armen und Beinen tanzen. »Nein, auf keinen Fall«, bestätige ich.

Im Hintergrund höre ich Musik laufen, die von den Gesprächen, dem lauten Lachen und den klirrenden Gläsern der anderen übertönt wird. Ich richte mich auf, um meinen Blick schweifen zu lassen. Meine beste Freundin Stella hat mit ihren Musikvereinskollegen eine wirklich coole Clique, die wissen, wie man gute Partys schmeißt. Die Gelegenheit bei einer dieser Partys dabei zu sein, lasse ich mir ungern entgehen. Allein um einen besseren Kontakt zu diesen Menschen zu knüpfen, ist es schon fast die Mühe wert, ein Instrument zu lernen.

Im Augenwinkel bemerke ich, wie eine weitere Person den Garten betritt. Die Sonnenbrille verbirgt deine Augen, durch die Cap kann man deine schwarzen Haare kaum sehen. Dein dunkler Bart sieht auf den ersten Blick perfekt gestylt aus. Genau wie jedes andere Detail an dir und deinem Outfit. Ich habe dich schon viele Male gesehen, dennoch kommt es mir auf einmal so vor, als würde ich dich heute zum ersten Mal so richtig sehen.

»Hier siehts aber gemütlich aus«, sagst du und jeder dreht sich zu dir. »Ah, Ben! Schön, dass du es noch zu uns geschafft hast«, ruft Maria und setzt sich in ihrem Stuhl auf. »Na klar, das hier kann ich mir doch nicht entgehen lassen«, erwiderst du und lässt dich in den Campingstuhl neben Maria fallen. Entspannt seufzt du und beobachtest Maria eine Weile, bevor du deinen Blick in der Runde schweifen lässt. Ich habe das Gefühl, er würde einen Moment länger auf mir als auf den anderen verweilen. Vermutlich fragst du dich, warum ich hier bin.

»Bekommen wir jetzt doch endlich ein weiteres Mitglied?«, fragst du laut an mich gerichtet. Langsam schüttele ich den Kopf. »Bisher konnte mich noch niemand so richtig überzeugen«, gespielt enttäuscht zucke ich mit meinen Schultern. Du lachst und legst dich in deinem Stuhl zurück, ohne deinen Blick von mir zu entfernen. »Warte mal heute Abend ab. Ich kann ziemlich überzeugend sein«, du legst deinen Kopf leicht zur Seite und grinst mich breit an. »Das will ich sehen.«

Noch einen Moment schaust du mich an, bevor du aufstehst und wortlos ins Haus gehst. Mein Blick verfolgt dich durch das Küchenfenster und ich beobachte, wie du dir etwas zu trinken mischst. Raus kommst du mit zwei Cocktails, die du lässig in einer Hand trägst. Du gehst an deinem vorherigen Platz vorbei, nimmst mit deiner freien Hand den Campingstuhl hoch und stellst ihn neben mir ab, bevor du dich setzt und mir einen der beiden Cocktails reichst.

»Challenge accepted«, sagst du, ziehst deine Sonnenrille herunter und hältst mir deinen Cocktail zum Anstoßen entgegen. Automatisch hebe ich meinen Cocktail an und blicke dabei in deine strahlend blauen Augen. Als ich das Klirren der beiden Cocktailgläser höre, bemerke ich ein verschmitztes Lächeln in deinem Gesicht. Worauf habe ich mich hier nur eingelassen?

© Vanessa Hillen 2023-07-08

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Hoffnungsvoll, Unbeschwert, Entspannend
Hashtags