Der erste Eindruck

Jennifer Corazza

von Jennifer Corazza

Story

Zugetraut hĂ€tte ich es mir ja nicht, dass ich tatsĂ€chlich hier ende. Vor allem weil ich zuvor zwei falsche GebĂ€ude aufgesucht habe. Google Maps gibt es ja noch nicht. Oder zumindest wĂŒsste ich nicht, wie man das auf meinem Samsung verwendet, das gerne selbst schon mehr gekonnt hĂ€tte. Der Weg hierher war nicht einfach, auch wenn ich erst vor wenigen Tagen beschlossen habe, ihn einzuschlagen. Heulend um vier Uhr morgens nach einer weiteren Doppelschicht im Restaurant, das ich doch so sehr liebte und mir doch nicht genug gab, um den Rest meines Lebens darin zu verbringen. Was also darf’s sein? Ein bisschen Englisch, ein bisschen Deutsch? Jedenfalls was mit Sprache. „Linguistik“, schlĂ€gt mein Papa in aller HerrgottsfrĂŒh vor. „Soll zu den Top zehn anerkannten Studienrichtungen gehören.“ Gekauft.

Zwei Tage spĂ€ter inskribiere ich mich. Und weiß nicht einmal was das bedeutet. Bin sauer ĂŒber die Fachbegriffe, die man mir an den Kopf wirft. „Hier musst du dich immatrikulieren, inskribiert bist du jetzt, hier noch deine Matrikelnummer“, sagt jemand Motiviertes im dunkelblauen T-Shirt. Matrikelnummer – was ist das denn. Brauch ich fix nicht. Niemals, wirklich niemals wollte ich Studentin sein. Mit dieser Gratis-Tasche durch die Gegend gondeln; Themen, die alles andere als abendfĂŒllend sind, als interessant betiteln. Und doch stehe ich jetzt hier. Im NIG. Im wahrlich abscheulichsten GebĂ€ude dieser Einrichtung, zur EinfĂŒhrungsvorlesung, die nach einer absolvierten SpĂ€tschicht gefĂŒhlte vierzehneinhalb Jahre dauert. Der Professor bedankt sich und schließt die Stunde. Signal fĂŒr mich aufzuspringen, den Saal zu verlassen, schlafen zu gehen und nachmittags in den sicheren Hafen der Gastronomie zurĂŒckzukehren. Doch meine Kolleg*innen sehen das anders. Sie klopfen – ja, hĂ€mmern gar auf die Tische. Buhen mich aus nicht wissbegierig genug zu sein und bei erster Gelegenheit die Quelle allen Wissens verlassen zu wollen. Könnte einem der Professor ja vielleicht noch eine Lebensweisheit mit auf den Weg geben. „Geht arbeiten“, wĂ€re mein Vorschlag. Ich wusste, dass ich Studenten hasse. Ich wusste allerdings nicht, dass Klopfen ein gĂ€ngiges Ritual ist, den Unterricht an einer UniversitĂ€t zu beenden. „Ist ja gut! Ist ja gut!! Ich setz‘ mich wieder hin!“, schreie ich in die Runde. Nach ein paar seltsamen Blicken erheben sich auch die anderen. Das soll mal einer verstehen. „Alles gut bei dir?“, fragt mich jemand. Wasserstoffblond – so wie ich. „Ich hasse es hier“, sage ich zu ihr. „Ich auch. Dann hassen wir’s gemeinsam.“ Unsere Freundschaft hĂ€lt bis heute. Und einen akademischen Titel haben wir auch noch.

© Jennifer Corazza 2020-08-14

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