Der erste Tag in Quito

Ingrid Kölbl

von Ingrid Kölbl

Story
Quito 2019

Ecuador 2019.

Ankunft in Quito. Tag eins meiner Reise, für die ich fünf Wochen im Land sein werde. Ganz ohne Plan. Frei.

Die Hauptstadt des Landes kenne ich bereits von einer früheren Reise. Doch liegt sie bereits Jahre zurück. Nun bin ich erneut hier, der Check-In im Hostel kann nicht schnell genug gehen. Mit meinem kleinen Tagesrucksack gehe ich die wenigen Meter zum Plaza Central und will einfach nur eines: Den Moment genießen, mitten im Geschehen zu sein und zu beobachten, was sich vor meinen Augen abspielt.

Es verkauft sich so gut wie alles hier in Quito in den Straßen im historischen Zentrum. Von mandarinas und manzanas (Äpfel) schön in einer Reihe im Plastikbeutel abgepackt, über cargadores – Ladegeräte – für alle Mobiltelefone, einzelne Kleidungsstücke, Plastikgabeln. Natürlich gafas de sol – Sonnenbrillen – und Lotterietickets. Meist sind es Indígenas, die indigene Urbevölkerung, die für ein paar Dollar am Tag die Straßen auf und ab laufen und sich nur zwischendrin mal kurz ausruhen.

So wie heute auch eine ältere Frau, neben der ich bewusst Platz genommen habe, um vielleicht das eine oder andere von ihr zu erfahren. Sie hatte mehrere Stoff-Kaffeefilter in der Hand, ihr rechtes Bein auf der steinernen Bank ausgestreckt. Krampfadern machen ihr zu schaffen, genauso wie der schmerzende Magen. Die Füße. Sie hat dunkle, von der Sonne gegerbte Haut und ihre rosa Strickjacke trägt sie wohl schon länger. Lose Fäden hängen weg, etliche dunklere Flecken säumen die Ärmel.

  Dann deutet sie auf den Präsidentenpalast unmittelbar vor uns und schließt sich den Worten einer Protestgruppe rechts von uns an: »Lenin escucha, nuestra país está en la lucha«. So skandiert die Gruppe aus gut zwanzig Leuten lautstark und unaufhörlich, angetrieben von einer Frauenstimme am Megafon. »Lenin hör zu, unser Land befindet sich im Kampf!« Eine kleine Arbeiterbewegung hat sich hier organisiert, alle in schwarzen T-Shirts mit Aufdruck »Trabajadores…en lucha«, Arbeiter im Kampf. Ob sie eines Tages erhört werden?

Das kleine südamerikanische Land hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Eine Währungsreform vor Jahren hat den Dollar gebracht, die Preise sind vielleicht stabiler geworden, doch viele Einheimische müssen nun tiefer in die Tasche greifen. Das ruft Kriminelle auf den Plan. Es sei nicht sonderlich ratsam, als Frau in gewisse Gegenden der Stadt zu gehen, erst recht nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Das zumindest gibt mir ein älteres Pärchen mit auf den Weg, das ich am gleichen Tag am Plaza Central kennenlerne. Mal sehen…

© Ingrid Kölbl 2023-11-20

Genres
Reise
Stimmung
Adventurous, Inspiring, Reflective, Unbeschwert
Hashtags