Der erste Urlaub

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Story

Wie alt mag ich wohl gewesen sein? Acht oder neun Jahre.

Ich bin in einem beschaulichen Dorf im Weinviertel aufgewachsen, und damals … in den 60erJahren … war es bei uns nicht üblich, dass jemand auf Urlaub gefahren ist.

Mein Vater war Kriegsinvalide mit nur einem Bein. Das Landesinvalidenamt bot an, dass die Familie gemeinsam auf Urlaub fahren kann, und zwar in ein Heim in Freiland bei Lilienfeld.

So fuhren wir mit Bus und Bahn nach Wien und dann weiter nach Freiland.

Ich erinnere mich an den furchtbaren Schrecken, als wir zum ersten Mal im Leben mit dem Zug durch einen Tunnel fuhren. Plötzlich war alles finster. Ich war nicht vorbereitet. Alles war so ungewohnt, und dann das. Etwas Angst stieg auf, doch nach kurzem erblickten wir wieder das Sonnenlicht.

Wir waren eine fünfköpfige Familie, meine Eltern und meine zwei älteren Schwestern, die schon in der Pubertät – man könnte auch sagen – fast erwachsen waren.

Es war ein schönes gelbes Heim. Wir lernten Familien von Kriegsinvaliden aus Wien und dem Burgenland kennen. Es war alles interessant, aufregend und neu. Vor allen Dingen war es auch für meine Eltern eine ersehnte Erholung von der schweren Arbeit am Bauernhof. Ich erlebte sie ganz anders als sonst. Plötzlich waren sie entspannt und fröhlich, und sie freuten sich neue Leute kennenzulernen, in deren Familien auch der Vater mit einer Kriegsverletzung leben musste.

Ich habe eine liebe Freundin gefunden. Sie war aus Wien und sehr klug, ja man könnte sie sogar als weise bezeichnen.

Sie hatte lange dunkelblonde Zöpfe und eine Brille. Wir spielten zu zweit Karten. Ich glaube, es war Jolly. Sie hatte die Idee, dass wir gemeinsam gegen die Wand spielen. Das hatte den großen Vorteil, dass wir zwei sicher gewonnen haben. Die Wand hat natürlich immer verloren.

Weise deshalb, weil es unsere Freundschaft festigte. Es bestand keine Gefahr, dass sich eine von uns ärgert, wenn sie beim Kartenspielen verliert. Miteinander, nicht gegeneinander!

Ich weiß noch, dass wir zur Erinnerung ein Familienfoto machen ließen. Dafür gingen wir zu Fuß nach Lilienfeld zu einem Fotostudio. Der Straßenverkehr war für mich ungewohnt. Alle bekamen einen Schreck, als ich Kleine einmal über die Straße lief und mich fast ein Auto erwischte.

An das Familienfoto kann ich mich gut erinnern. Mein Vater im Anzug, meine Mutter in einem schönen gemusterten Kleid sitzend, wir Kinder stehend. Der Fotograf machte viel Tamtam um meine hübschen Schwestern, damit sie gut zur Geltung kommen. Sie hatten eine auftupierte Frisur, wie es damals chic war. Ich trug kurze Haare und ein dunkelblaues Kleid mit weißen Tupfen. Leider sind viele Fotos, und auch dieses, einem Brand zum Opfer gefallen.

Wir waren oft spazieren. Der Duft der Blumen und Gräser der Gegend ist mir unvergesslich. Er war besonders. So ganz anders als bei uns im Weinviertel.

Diese ersten Ferien weg von zu Hause waren für mich damals sensationell.

© 2021-02-16

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