Der falsche König

Melanie Thom

von Melanie Thom

Story
mittelalterliche Welt

Der Mann stellte sich in die Reihe der Bittsteller und wartete, bis er dran kam. Der König war ein Mann fortgeschrittenem Alters. So weit er wusste, plagten ihn etliche Krankheiten. Ich tue ihm einen Gefallen. Mit gequältem Gesichtsausdruck musterte der Monarch den Besucher. „Ihr wünscht?“ Mehr Desinteresse in einer Frage war wohl kaum möglich.

„Eure Krone, Schloss Schellenstein und Euer Königreich.“ Der fremde Mann verneigte sich elegant. Einige wenige Soldaten zuckten bei seinen Worten und der König sah ihn erschrocken an. Dann fiel er in schallendes Gelächter, als sei es der beste Scherz, den er je gehört hatte. „Weshalb seid Ihr hier?“ Es schien fast so, als hätte er urplötzlich Interesse an diesem schlanken Mann, in dessen grünen Augen ein gewisses Verlangen loderte.

„Das habe ich gerade gesagt. Ich bin hier, um mir diesen unseglichen Stuhl zu nehmen, auf dem Ihr gerade sitzt.“ Der König war irritiert. Aus den Augenwinkeln konnte der Mann sehen, wie Nadeen den Raum verließ. Na schön, mal sehen, wie weit sie kommt. Der König lehnte sich vor und blickte den Mann eindringlich an. „Beim ersten Mal war es lustig. Jetzt glaube ich, Ihr habt den Verstand verloren.“ Doch der dünne Mann lachte.

„Mit Verlaub, lieber verliere ich den Verstand als den Kopf.“ Er gab ein Zeichen mit seiner Hand und ehe der König begriff und zu den Wachen rufen konnte, hatte einer der Gardisten hinter ihm seine Kehle durchtrennt. Ein kleiner Tumult brach aus, als die wenigen Soldaten, die noch zu dem König gehalten hatten, versuchten, die Angreifer zurückzudrängen. Es war kein richtiger Kampf, kein Blutbad oder der Gleichen. Es war fast schon zu schnell vorüber. Nach wenigen Momenten kehrte Stille in den Saal und der schlanke Mann trat die Leiche vom Thron und setzte sich selbst darauf.

Eine zweite Welle des geringen Widerstandes begann, als die übrigen Soldaten von der Tat gehört hatten und in den Saal stürmten. Lächerlich. Die Handvoll, die zu dem Alten gehalten hatte… Das ist ja fast schon zu einfach. Auch diese Woge verebbte schnell und zufrieden sah der Mann zu, wie sich die Mehrheit der Soldaten die schäbigen Rüstungen abstreifte und darunter die grünschwarzen Uniformen mit der schwarzen Viper als Banner hervorkamen. Eben diese Banner wurden nun von den Balkonen und den Zinnen herabgelassen, die vorigen Wandteppiche und Zeugnisse der Hylian-Familie abgerissen und durch Szenen aus dem Zhorrax, dem heiligen Buch, ersetzt.

Die Gardisten in ihren Uniformen formierten sich in einem Halbkreis vor dem neuen König und knieten vor ihm. „Quia frater!“, brüllten sie in einem Ton, der noch lange von den hohen Wänden widerhallte. Zufrieden blickte der Schlaksige durch den Saal, der nun gefüllt war mit Menschen, und lächelte.

© Melanie Thom 2024-03-08

Genres
Romane & Erzählungen, Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Abenteuerlich, Dunkel, Mysteriös
Hashtags