Der fauchende Hausdrache

Hedwig Kromer

von Hedwig Kromer

Story
Großpetersdorf

Aushilfsweise jäte ich im Garten von Bekannten. Meine ganze Kraft brauche ich, um die dichten Wurzelballen der Gräser, die in den Ritzen des circa 1 m hohen „Ausstellungshügels“ wachsen, herauszufitzeln. Das geht am besten im Knien. Unerwartet finde ich mich Auge in Auge mit einem der ausgestellten Drachen wieder. Hmm. Der hat genau die richtige Größe für meinen Vorgarten, der, so wie die der Nachbarn, nicht eingezäunt ist. Mit seinem furchteinflößend aufgerissenen Maul taugt der Geselle gut zur Verteidigung meiner Rosen.

M, der Herr des Hauses, ist Künstler und in vielen unterschiedlichen Techniken versiert. Neben seinen Tier- und Pflanzenbildern in Acryl, Bildern in Gummi-, Schleuder- (also jeweils extra!) oder Lackeffekttechnik hat er zahlreiche Skulpturen geschaffen. Er verwendet Holz, Metall und Rohglasstücke in variablen Kombinationen. Von der Autowerkstatt in seiner Nähe hatte er ausgediente Auspuffe von Mopeds heimgetragen und mit auf Flohmärkten erworbenen Kleingeräten wie Gartenkrallen, Zangen, Schafscherscheren, … zu urtümlichen Drachen zusammengefügt. Der Körper des einen großen Exemplars besteht aus einem Autoauspuff. Seine zackige Rückenlinie wird von einem Abfallteil aus Stanzblech gebildet, richtig gefährlich wirkt sie!

Bei einem Kurs hatte ich seine Frau L kennengelernt. Vor vielen Jahren war sie Sekretärin bei einem Amtstierarzt gewesen. Das Paar selbst hatte eine vorbildlich geführte Dackelzucht betrieben. Von ihren beiden prämierten Weibchen gab es nur einen Wurf jährlich. Ihre Hunde lebten in der Familie und wer einen Welpen käuflich erwerben wollte, musste sich dessen als absolut würdig erweisen. Auch viele andere Vierbeiner hatten sie besessen, deshalb war L davon angetan, dass Pferde mein Leben teilen.

Aufgrund eines Sturzes hatte L einen Kieferbruch erlitten, der zwar schon verheilt war, aber sie traute sich trotzdem nicht, Brotrinde zu essen. So sammelte und trocknete sie diese. Oft gab sie mir ein ganzes Papier(wichtig!)sackerl voll für meine Pferde mit. Zum gezielten Einsatz als Leckerli waren sie sehr praktisch.

Eines Tages ist der Pferdezahnarzt bei mir auf dem Hof. Es kostet eine nette Stange Geld, ist aber ein wichtiges To-do (alle 2 Jahre), soll ein Pferd gesund alt werden. Ein wenig klagend erzähle ich L von dem ausgegebenen Betrag, worauf sie antwortet: „Pferde brauchen trockene Brotrinde.“ Erst bleibt mir die Luft weg. Wild bricht ein hinuntergeschluckter Schmerz hervor. Vor einigen Wochen hatte sie mir eröffnet, dass ihr meine Pferde leid tun, weil diese kein Brot bekommen. Unverhofft werde ich zum fauchenden Drachen: „Kein Pferd BRAUCHT Brot!“ Die modernen Weizensorten enthalten stabilere Gluten, das ist nichts für (nicht nur!) Pferdemägen. Sehr aufschlussreich zu diesem Thema ist der Film „Gluten, der Feind in deinem Brot“ auf YouTube. Besser ist es, geeignetes Kraftfutter (Hafer, Gerste, Mais …) zu füttern. Ob ich mir meinen jetzigen Ärger erspart hätte, hätte ich das schon seinerzeit gesagt, statt mein Gekränktsein hinunterzuschlucken?


© Hedwig Kromer 2025-08-02

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Romane & Erzählungen
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