von Alicia Leikam
Entsetzt sah ich zu meiner Schwester und in ihre verzweifelten Augen. Ich hatte sie noch nie so entblößt gesehen, ihr Körper wie auch all ihre Gefühle lagen offen vor allen da. Sie hatte recht gehabt, mit allem, was sie mir erzählt hatte, vor allem wovor sie mich gewarnt hatte. Ich fühlte mich schuldig und eine tiefe Leere schien sich in mir auszubreiten. „Was muss ich tun?“, fragte ich nur und fühlte mich taub. Der Feenkönig neigte seinen Kopf und grinste, sein wunderschönes Gesicht kam mir noch fremder vor als zuvor. „Du kannst gar nichts tun.“ Ich sah ihn entgeistert an. „Ihr habt gesagt, es ist meine Schuld, dass sie hier ist, dass Ihr einen Handel mit mir gemacht habt. Wie kann ich das rückgängig machen?“ Er machte einen Schritt rückwärts und rieb sich das Kinn. „Das stimmt, das habe ich gesagt. Dennoch kannst du sie nicht befreien. Sie gehört auf ewig mir, dem Feenkönig der Nacht.“ Er machte eine ausladende Armbewegung und seine Augen funkelten. „Nehmt mich anstatt ihr. Es ist alles meine Schuld, bestraft sie nicht für meine Dummheit.“ Jetzt wirkte er interessierter, kam auf mich zu und hob mein Kinn an. Seine Augen drangen durch mich hindurch und ich musste schlucken. Er musterte mein Gesicht und sagte dann: „Du bist schön und klug, genau wie deine Schwester, vielleicht sogar schöner und klüger als sie, doch sie gehört mir bereits lange bevor ich dir Geschenke geschickt habe.“ Er lief im Kreis um mich herum und ich hörte die winselnden Geräusche meiner Schwester und biss mir aus Verzweiflung auf die Unterlippe. „Du hast Glück, dass du sie hattest. Ihre Seele gehörte mir bereits, als sie dir all die Geschichten über mich erzählte. Sie war noch ein Kind, genau wie du, doch ich habe sie immer in den Garten gerufen. Sie war besonders, sie hat nie eines meiner Geschenke genommen, doch zu jedem dritten Neumond schenkte sie dem Feenreich etwas. Sei es Silber oder Gold, Kleidung oder Essen. Ich dachte, dass sie sich nicht täuschen ließe, doch eines Nachts rief ich sie genau wie du zur Trauerweide, an der ich eine silberne Kette mit einem Anhänger platzierte. Ich wusste nicht, was es war, was sie dazu trieb es zu behalten, doch sie trug es von diesem Tag an. Meine Enttäuschung war so groß, dass ich sie auf ewig verfluchte, so wie ich es mit allen Dieben tat. Mit dieser Kette gehört ihre Seele mir.“ Ich starrte meine Schwester an, nicht aus Hass oder Wut, sondern allein aus tiefer Traurigkeit. „Was ist mit Acuven und Jinvia?“, fragte ich dann ganz unverblümt. Der König blieb erneut vor mir stehen und schnaubte verächtlich. „Allein, dass du ihre Namen kennst“, er stockte. „Niemand in diesem Reich trägt einen Namen, außer ich gebe ihnen einen. Sie hatten Glück, dass ihre Namen das Reich des Tages erreichten. Sie glaubten, es sei ein Geschenk an mich gebunden zu sein.“ „Das Reich des Tages?“, fragte ich dann. „Ja“, sagte er zaghaft. „Es gibt zwei Reiche, das Reich des Tages und das der Nacht.“ „Haben es Acuven und Jinvia dorthin geschafft. „Nein“; sagte er knapp. „Sie gehören fortan mir, durch meinen Zauber starben sie.“ Ich wusste nicht, worauf ich hinauswollte, doch musste es irgendwas geben, dass meine Schwester retten würde. Und dann fiel es mir ein. Zu jedem dritten Mond gewährt der König einer Person eine Gunst.
© Alicia Leikam 2023-09-05