Der Flur ins Nichts

Elena Jordan

von Elena Jordan

Story

Teil 3

„Du hast Besuch?“, fragte ich ihn irgendwann, beiläufig ohne jeden Kontext. Er schmunzelte nur und nickte leicht. „Du auch.“ Antwortete er. Was sollte man daraus schon schließen, außer, dass er keine Ahnung hatte wann ich Besuch bekam.„Nein.“ Seine linke Augenbraue schnellte fast unmerklich hoch, dann ein mildes Lächeln. „Oh Verstehe.“ Hatte er tatsächlich angenommen, dass wir nicht zusammenlebten? Du hättest in diesem Moment gelacht, das weiß ich, ihm vielleicht mit einer sarkastischen Antwort zugesetzt. Aber ich tat nichts dergleichen. Er fuhr sich mit den Fingern durch das schwarze Haar und überreichte mir beiläufig einen Brief der fälschlicherweise in seinem Fach gelandet war. Dann hielt er kurz inne. „Möchtest du meine Wohnung sehen?“Ich blinzelte verwirrt, seine Gedankengänge schienen unschlüssig und impulsiv. Was er sich davon erhoffte, blieb mir zu gegebener Zeit nach wie vor ein Rätsel. Aber ich wollte, war von dem Gedanken fasziniert, mehr über sein Privatleben zu erfahren. Etwas, dass mir vor ein paar Wochen noch als schier unmöglich vorgeschwebt hätte. Was verbarg sich hinter dieser dünnen blassen zerkratzten Lacktür im obersten Stock? War er insgeheim ein Sammler? Häuften sich Prospekte und makabere Gemälde in verstaubten Zimmerecken? Oder lebte er ganz zum Schein des introvertierten Minimalisten auf? Ich hatte das Bedürfnis zu lachen, so bizarr erschien mir sein urplötzliches Angebot und zum gegebenen Zeitpunkt verspürte ich ein unangenehmes ziehen in der Magengegend. „Nein.“ Erwiderte ich knapp, meine Augen suchten sein Gesicht nach einer zu erwartenden Reaktion ab und tatsächlich. Für einen Moment hatte es den Anschein als würden seine Züge erfrieren. Seine Augen zitterten schier unmerklich, eine Ader pochte an der rechten Schläfe, sein Mundwinkel zuckte leicht. So hattest du ausgesehen, so ähnlich, damals im Marriott nach deinem dritten Whisky, das hat mir sehr viel Angst eingejagt, weißt du. Und die Fahrt nach Hause erst, deine Alkoholfahne, deine Hände in meinem Dekolleté. Aber danach waren wir immer glücklich gewesen. Immer.

Er taute auf und nickte lächelnd, während er eine Zigarettenschachtel, die er unter seinem T-Shirt zwischen Stoff und Schulter geklemmt hatte, hervor zog. Wortlos klopfte er eine aus dem Karton heraus und hielt sie mir hin, wie einem Kind eine Süßigkeit. Kurz bevor ich danach greifen konnte, hob er sie in Richtung der vergilbten Flurdecke empor und ein leises Zischen entfuhrseinem Mund. Für ein paar Sekunden standen wir so da, er mit Zigarette und wachsamen Blick, ich mit ausgestreckten Händen.

© Elena Jordan 2022-10-04

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