von S. Pomej
Von den unzĂ€hligen Leuten, die ich an der Uni kennenlernte, blieb mir ein uriger Typ unvergesslich, weil er die Momente, die ihn offenbar amĂŒsierten, fĂŒr die Ewigkeit festhalten wollte. Wir waren nicht befreundet, doch eines Tages nach der Vorlesung kam er grinsend auf mich zu und fragte, ob ich einige seiner Fotos sehen wolle. Höflich nickte ich und wir verzogen uns in eine stille Ecke, wo er mir einen Pack kĂŒnstlerisch angehauchter Schwarz-WeiĂ-Fotografien zeigte, die mich staunen lieĂen. Das Motiv: ICH! Ich am Ring, wie ich (erotisch) ein Eis schlecke, ich am Ring, wie ich mich (unerotisch) anpatze, ich am Ring, wie ich (ungeschickt) den Fleck von meiner Hose wische, ich am Ring, wie ich mir (wieder unerotisch) mit dem Fingernagel einen Schokosplitter aus dem Zahn fuzle, ich am Ring, wie ich mir (wieder erotisch) mit einer Hand durch die vom Wind zerzausten Haare fahre, usw. Er hatte mich also am Heimweg von der Uni auf der RingstraĂe abgeschossen, also in Paparazzo-Manier richtige Meuchelfotos von mir gemacht, die allerdings irgendwie kĂŒnstlerisch anspruchsvoll aussahen. Noch dazu von einer erhöhten Position aufgenommen, so als wĂ€re er auf einem Autodach gestanden oder auf einem Baum gehockt. Als er mir die Fotos wieder abnahm, erwartete ich sogar, dass er sie mir zum Kauf anbot, doch er grinste nur blöd. âHĂ€hĂ€!â Mir verschlug’s die Sprache.
SpĂ€ter erklĂ€rte mir eine Kollegin, dass er das bei ihr auch getan hĂ€tte, sie von oben herab bei wenig bildtauglichen Alltagshandlungen fotografiert, als sie sich unbeobachtet fĂŒhlte. Unangenehm war ihr, von ihm beim Griff in den Schritt abgelichtet worden zu sein, sonst nichts. Mir erschienen hingegen alle Fotos von mir peinlich, daher traf ich mich mit ihm zu einem Rendezvous, um sie von ihm zu kaufen. Wir saĂen uns in einem Restaurant gegenĂŒber und ich fragte, ob er noch andere Motive als Menschen in Not wĂ€hle. Ja, erzĂ€hlte er, Fische! Schon landete ein Packen Farbfotos vor mir, auf denen jeweils ein heimischer SĂŒĂwasserfisch auf einem Blatt drapiert in seinen letzten japsenden AtemzĂŒgen dalag. HĂ€tte er selbst gefangen und fĂŒr die Ewigkeit festgehalten, berichtete er stolz.
„Bravo, daraus könntest du doch einen Kalender machen“, schlug ich vor. „Da verdienst du noch dran.“
„Aber ICH hab es doch nicht nötig, Geld zu verdienen!“, prahlte er, das Söhnchen aus gutem Haus.
Na, ich erkannte, dass ich die Negative wohl nie bekommen wĂŒrde und kann heute froh sein, dass er die Meuchelfotos bisher noch nicht im Netz veröffentlicht hat.
© S. Pomej 2021-02-07