Im Herbst habe ich die Irisblätter nicht zurückgeschnitten. Sie schützen im Winter die Wurzelrhizome und bieten kleinen Lebenwesen Unterschlupf. Jetzt ist es aber Zeit den jungen Trieben Platz zu machen.
Als hätte ich einen Kopf voller Dreadlocks vor mir, arbeite ich mich durch das braune Gestrüpp zu meinen Füßen. Darunter verstecken sich die Krokusse. Manche blühen schon! Man hat sie gar nicht gesehen. Jetzt liegen sie frei, die Sonne scheint, und schon kommt eine Biene geflogen! Büschel für Büschel fällt meiner Schere zum Opfer. Wie ein Haarschneider komme ich mir vor.
Da kommt mir ein Erlebnis in Auroville in den Sinn. Auch damals war Frühling. Ich wohnte in Verité und machte die Bekanntschaft von interessanten Menschen, so auch die von Aurelio, der Wien mit Auroville getauscht hat und hier zu Klang forscht und Instrumente baut. Seine Firma heißt SVARAM. In seiner Werkstatt lernt er junge Tamilen an. Auch sonst tut er viel für ihre Jahrtausende alte Kultur und die Dörfer in der Nachbarschaft von Auroville. So lädt mich Aurelio ein, einem seiner jungen, begabten Lehrlinge meine Arbeit mit den Klangschalen zu zeigen.
Um das zu tun, fahre ich, wie üblich mit dem gemieteten Rad, zu dessen Zuhause. Die kleine Hütte steht am Rad eines mit jungen Bäumen bepflanzten Grundstücks. Auf diese Pflanzung passt der junge Mann auf, was mich an die Hüter in den Hüterhäuschen bei uns in den Weinbergen erinnert. Die Bäume dienen der Erforschung, welches Holz sich für welche Instrumente besonders gut eignet. Ein bestimmtes Holz könnte auch zu neuen Klangkörpern inspirieren. Das ist die typische Herangehensweise von Aurelio.
Aurelios Mitarbeiter lebt allein. Die Hütte ist klein. Es gibt nur einen Tisch, einen schmalen Schrank und ein Bett, alles aus dunklem Holz getischlert. Worüber ich staune, ist ein Regal mit ausschließlich spiritueller Literatur. Unsere Arbeit ist für uns beide eine wertvolle Erfahrung.
Dann kommt der Tag, an dem ich einen Haarschnitt brauche. Mitten in den Hof, in den die Werkstätten einiger kreativer Initiativen und auch die Aurelios münden, setzt mich eine Aurovillianerin auf einen Stuhl, legt mir ein Handtuch auf die Schultern und macht mit einem Krug Wasser meine frisch gewaschenen Haare nass. Mit Kamm und Schere verpasst sie mir einen schicken Schnitt. Das war’s. So einfach geht das in Auroville! Die Sonne erledigt das Trocknen!
Aurelios singende Steine habe ich damals in Verité oft aufgesucht. Sie befinden sich in einer großzügigen, weiten Halle. Die Front ist offen, in der Mitte befindet sich ein Teich. Es herrscht Stille. Und in diese Stille hinein kann jeder Aurelios schwarze Steine mit seinen eigenen Händen zum Schwingen und zum Singen bringen.
An ihn, und SVARAM in Auroville habe ich heute bei der Arbeit im Garten gedacht.
https://svaram.org/ sonic stones
foto: Auroville fk.
© friederike kommer 2021-02-26