Der Garten-mein Paradies

Elisue

von Elisue

Story

Im Wien der Nachkriegszeit lebte ich zusammen mit meinen Eltern und meiner Oma in einer sogenannten Zimmer-Küche-Kabinett Wohnung. Der Blick aus dem Fenster fiel auf die gegenüberliegende graue Fassade des U-förmig um einen engen Lichtschacht gebauten Zinshauses. Ich war ein verträumtes Kind und meine Fantasie wurde durch die Bilderbücher, die mir meine Oma geduldig vorlas, beflügelt.

Besonders liebte ich die Geschichte von den Wurzelkindern. Dieses Buch zeigt ein Wiesenstück im Jahreskreislauf -oberhalb und unter der Erde. Jedem Blümchen wird darin eine Blumenfee zur Seite gestellt.

Auch das Märchen von Däumelinchen konnte ich nicht oft genug hören.

Viele weitere Geschichten lernte ich kennen, etwa wie der Goldregen von der Sonne seine strahlende Farbe erhielt oder wie dem Hundsveilchen sein Duft abhandenkommen war.

So erschuf ich mir eine eigene beseelte Welt. Ich erträumte mir einen verwunschenen Garten mit blühenden Bäumen und bunten Blumen. Darin lebten auch zarte Blumenelfen und freundliche Wichtel, es zwitscherten Vögel und flatterten Schmetterlinge.

Niemals hatte ich damals gedacht, dass dieser Gartentraum einmal Wirklichkeit werde könnte. Ein Garten mit Bäumen, Sträuchern, Blumen und Gemüse. Auch ein Refugium für Vögel, Schmetterlinge und Bienen mit Unterschlupf für Igel, Kröten und sonstiges Getier.

Jeder Gast ist willkommen, auch sogenannte Unkräuter.

Wenn im Sommer das Tagpfauenauge durch die Luft schaukelt weiß ich, warum die Brennnessel bei mir in Maßen gedeihen darf. Der ohnehin unausrottbar Giersch wandert als erstes Frühlingsgemüse in den Kochtopf.

Ich freue mich über den gelegenglichen Besuch eines Igels ebenso wie über Hirschkäfer und seltene Raupen. Auch der Erdkröte bin ich nicht mehr böse, dass sie einst Däumelinchen geraubt hat.

Nur ein Übermaß an Nacktschnecken wird von mir eingesammelt und zu einem verwilderten Grundstück gebracht. Für das restliche Gleichgewicht sorgen Tigerschnegel und Schnecken mit Haus. Ihre leeren Schalen sind für Vögel im Frühling notwendige Kalkspender.

Wenn ich heute durch meinen Garten gehe, denke ich oft dankbar an meine Oma. Sie hat mit ihren Märchen und Geschichten den Keim für mein Naturverständnis gelegt.

Mein Garten lebt, ich habe Respekt vor allen Helfern unter und über der Erde die zu seinem Gedeihen beitragen. Und sollte sich einmal gar eine Blumenelfe einfinden würde es mich auch nicht wundern….

© Elisue 2021-04-16