von E_Wa
Viele Jahre spiegelte der Garten ihre Lebenssituation wider. Nur wenige Monate nachdem das Haus fertiggestellt und alles seinen Platz gefunden hatte, war auch die Beziehung zu Ende. Sie übernahm das Haus, die Schulden und die gesamte Verantwortung für die Kinder. Wie ein verwahrloster Teppich, karg und mit Unkraut übersät lag die Wiese ihrem Haus zu Füßen. Zufällig und ohne Zutun ragte hin und wieder ein Löwenzahn, einige wenige Gänseblümchen oder eine Mohnblume aus dem dürftigen Boden. Der Lehmboden gestattete keine Vielfalt und der einstige Acker weigerte sich seine Ursächlichkeit aufzugeben. Aber mehr als der Boden verhinderten es ihre Lebensumstände den Garten fruchtbar zu machen. Zu sehr war sie damit beschäftigt, ihre und die Grundbedürfnisse der Kinder zu sichern. Wie die unermüdlichen Wühlmäuse in ihrem Garten versuchte sie haufenweise Aussicht auf ein gutes Leben zu erhaschen. Doch aus heiterem Himmel und irgendwann überkam sie eine tiefe Gelassenheit und es stellte sich eine friedliche und freundliche Haltung dem mageren Grund gegenüber ein. Die spielenden Kinder vorm Haus erschienen ihr wie prächtige Blüten die mit ihren Spielen und ihrer Fantasie den Garten schmückten.
Eines regnerischen Tages suchten sich Regentropfen ihren Weg ins Innere des Hauses und das Wasser schwemmte die Hoffnung auf ein gutes Leben hinaus. Doch wider Erwarten brachte das Unglück einen Könner, einen Restaurator, einen Gartenkomponisten in ihr blütenarmes Leben. Er sah was zu tun war und blieb. Zuerst blickte er hinter die Fassade, erkannte die Mängel und die Not, reparierte das Haus, sah ihr Inneres und begann mit Hingabe mit der Komposition. Langsam, behutsam und sorgsam brachte er unsichtbares zum Vorschein. Der dürftige Lehmboden wurde mit satter und nahrhafter Erde überzogen und Areale, Beete, Wege, Stauden, Steine, Bäume, Blumen, Bänke, Sitzplätze, Hängematten fanden ihren Platz. Es brauchte nicht all zu lange und jede Jahreszeit brachte im Garten die wunderbarsten Farben, Düfte und Formen hervor. Plätze zum Verweilen. Nun spiegelte sich im Garten eine neue Lebensituation wider: volle Herzen, pralle Lebenslust, reiche Ernte, genussvolle Stunden, berauschende Gefühle, satte Schattierungen, farbenfrohe Blütenmeere, laue Nächte, guter Wein und Dankbarkeit. Die Liebe hatte Einzug gehalten und machte Haus und Garten zu einer trauten und wohligen Bleibe und brachte Schutz. Es war, als ob diese üppigen Nuancierungen und die Blütenpracht sie auf alle Zeit vor allem bewahrte.
Sie stieg vorsichtig und behutsam von der Veranda auf das satte Grün der Wiese und sprach zu sich: “Das ist der Garten, den ich mir immer wünschte!”
© E_Wa 2021-04-25