Der Gautschbrief

Wolfgang A. Schweighofer

von Wolfgang A. Schweighofer

Story

„Packt an, Wolf Held!“, lauteten die Worte des Gautschmeisters. Das war der Auftrag für die Packer, den Lehrling zu ergreifen, um ihn anschließend von den „Lehrlingssünden“ zu erlösen. Buchdrucker und Schriftsetzer, die ihre Lehre abgeschlossen hatten und den Gesellenbrief in Händen hielten, wurden als Gesellen erst anerkannt, nachdem diese „gegautscht“ waren.

Bereits im 16. Jahrhundert wurde das Gautschen zur Freisprechung der Lehrlinge durchgeführt. Der Name stammt aus der Papiererzeugung. Bei der Herstellung von handgeschöpftem Büttenpapier wurde der nasse Bogen nach dem Schöpfvorgang und dem Ablaufen des Wassers vom Sieb auf Filz durch leichten Druck abgelegt, das heißt gegautscht. Die Bögen wurden in der Gautschpresse entwässert und zum Trocknen aufgehängt. Früher wurde das Papier vor dem Druck befeuchtet, um ein besseres qualitatives Ergebnis zu erhalten.

Das „Gautschen“ wurde regelmäßig im Rahmen einer Freisprechungszeremonie zelebriert. Damit es spannend bis zum Schluss bleibt, erlaubten sich die Gesellen mit den Lehrlingen bereits vorher ihren Spaß. So führten einige das „Probe-Gautschen“ ein. Zwei packten den jungen „Neo-Gesellen“ an Schulter und Bein, während ein dritter mit einem nassen Schwamm bei einem Sessel wartete. Meistens wurde dies nur angedeutet, um ihm einen Schrecken einzujagen. Manchmal passierte tatsächlich, dass der „Gäutschling“ nass wurde und – zur Belustigung aller Anwesenden – seine nasse Hose wechseln musste.

Am Tag der offiziellen Gautsch-Feier ergriffen die Packer den Lehrling und führten ihn zu einer Bütte mit Wasser. Nach der Begrüßung „Gott grüß` die Buchdruckerkunst“ und einer kurzen Ansprache forderte der Gautschmeister – im Regelfall der Lehrherr – seine Packer auf, bei Lehrling W. tätig zu werden. Der Genannte versuchte zu flüchten. Doch keine Chance, er wurde zum Schwammhalter geführt. Der Ausbildner fungierte als „Anführg`span“ und Zeuge. In der Folge wurde der „Gäutschling“ mit dem Schwamm „getauft“, von den Packern ins Wasser geworfen und untergetaucht. Nach dem Auftauchen wartete der Gautschmeister mit dem Ehrentrunk – meistens Bier. Im Anschluss an das Ritual wurde das Gelände im Festzug verlassen. Den Gäutschlingen wurde Gelegenheit gegeben, sich umzuziehen, frisch zu machen und das Zunftzeugnis mit Siegel und Unterschriften feierlich entgegenzunehmen. Dieser positive Abschluss war früher sehr wichtig und Voraussetzung eines Dienstverhältnisses. Die Gautschfeier verlief feuchtfröhlich. Der gesellschaftliche Aufstieg des Lehrlings zum Gesellen wurde im Zuge des Fests durch das „Du“ gegenüber Chef und Ausbildner unterstrichen.

© Wolfgang A. Schweighofer 2021-05-05

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