Wenn ich richtig stinkig bin, dann mache ich so Sachen. Einige würde ich gerne ungeschehen machen, andere am liebsten mit Repeat-Taste ausrüsten und auf Abruf bedienen können. Gerade an Tagen, an denen ich mir wegen verpasster Gegenwehr: “Hätt‘ ich daraufhin doch dies gesagt, gemacht, getan …”, in den A… beißen könnte. Aber ab und an klappt’s!
Die Hochzeit von Helene. Wir sind uns nicht sehr grün, da in völlig verschiedenen Lebenswelten unterwegs. Familie ist uns wichtig, deshalb zeigen wir uns allerliebst von der Schokoladenseite, wenn ein Aufeinanderprallen nicht ohne größere Diskussionen verhindert werden kann. Ich liebe Hochzeiten. Schick machen, geliebte Verwandte treffen (zum Glück gibt es auch solche), die zu weit weg wohnen, um sie öfter zu sehen. Neue Menschen kennenlernen, lecker Bufett, Musik und Tanz – spitzen Sache!
Ich beschließe heute, auf Helenes und Markus Hochzeit, besonders tolerant zu sein. Das hält an, bis die Trauung vorüber ist. Kaum sind wir im Festsaal, geht’s schon los. Mein Geschenk wird achtlos zur Seite geknallt. Mein Kompliment an die Braut, wie schön sie aussieht, wird mit einem selbstgefälligen Nicken zur Kenntnis genommen. Auf ein Dankeschön kann ich wahrscheinlich bis zum St Nimmerleins-Tag warten, stattdessen kommt der Befehl: “Du kannst beim Sektausschank helfen, der ist dahinten!”
Ich bin jünger, aber deshalb noch lange nicht ihr Dienstmädl. Beim “Ausnahme-Harmonie”-Fenster wird der Rollo runtergefahren, dafür ploppt “na warte, Puppe!” auf.
“Eigentlich wollte ich Sekt trinken, nicht ausschenken.”
“Andere sind froh, wenn sie mir helfen dürfen!”
“Prima, dann hole ich mir bei denen jetzt ein Glas!”
Helenes Mutter kommt an unseren Tisch, herzt und küsst meine Schwester und mich. Wieso ist die so nett und ihre Tochter eine Giftspritze?
„Tanja, warum hilfst du Helene nicht?” Meine Schwester wird nicht gefragt – doch nicht so nett.
“Weil das ‘Bitte’ fehlte.”
“Aber es ist ihre Hochzeit und du bist Gast.”
“Eben!”, sage ich trotzig. Meine Mutti grinst, sie sieht das genau wie ich. “Können wir gehen?” Ich will nur noch heim. “Süße, wir wollen doch noch tanzen, das wird noch.” – Woher sie das bloß wusste?
Trommelwirbel. Strahlend positioniert sich die Braut in die Mitte des Saales, zückt den Brautstrauß und ruft: “Alle unverheiratete Mädels hinter mich.” “Na, los!”, feuert uns Mama an. “Kein Bock”, schmolle ich. Helene gibt einer Freundin einen Wink. Aha, die soll wohl bevorteilt werden? Okay, jetzt habe ich doch Bock – und wie!
Ich laufe mit meiner Schwester in die Mitte. Helene dreht uns den Rücken zu, wirft aber noch einen kurzen Blick über die Schulter, um zu sehen, wo ihre Favoritin steht. Kaum ist Helenes Gesicht wieder vorn, tanze ich im Sirtaki-Schritt press neben die Auserwählte. Die Braut holt aus, der Strauß fliegt hoch durch die Luft und schnapp, halte ich ihn in der Hand. Die Gäste applaudieren, meine Mama am lautesten.
Helenes Gesicht, als sie sich herumdreht, ist unbezahlbar!
© Tanja Gitta Sattler 2021-05-17