Der Geschmack der Kindheit

Elisabeth Kinigadner

von Elisabeth Kinigadner

Story

Meine Kinderstube war ein Weiler, in dem etwa zwanzig Höfe, ein Schulhaus und und ein Kirchlein standen. Es gab zwei VW Käfer, einen grünen und einen beigen, Pferde zum Ziehen von Leiterwagen und ein Ochsengespann. Mein Vater besaß eine Lambretta. Die anderen Kinder mussten hart arbeiten vor der Schule und danach, wir durften spielen, aber meine Mutter achtete penibel darauf, dass wir in der Umgebung des Hauses blieben. Noch bevor ich in die erste Klasse kam mit 5, verbrachte ich ganze Nachmittage mit einem Junggesellen, der mit seiner hochbetagten Mutter sein Höfchen am Rande des Dorfes bewirtschaftete. Da durfte ich hin. Im Stall standen zwei Kühe, die Namen hatten und wenn ein Kalb geboren war, durfte ich es striegeln, die Mistzotten vom Fell schrubben, zuerst mit einer Eisenbürste und dann mit einer feineren, Stroh ausstreuen und „helfen“. Solange der Luis lebte, hatte ich den Beinamen Schleiferdirn, denn ich war fast jeden Tag im Stall dabei und wenn er mit einem Reisigbündel, das die Lore, der Haflinger, zog, den Mist auf der Wiese ausbreitete, saß ich obendrauf. Somit war mein Alltag dem der anderen Kinder gleich und ich musste auch hart arbeiten. Ich durfte. Wenn das Kalb keine Lust hatte, von mir frisiert zu werden, schlug es mit den Hinterbeinen aus und ich saß im Mist. Nach dem Melken der zwei Kühe, was die Arbeit der steinalten Muater war, kam die Milch in die Zentrifuge. Das Schauspiel faszinierte mich täglich neu. An der einen Seite floss dicker Rahm in einen Kübel und auf der anderen Seite ein dünner Strahl entrahmter Milch, die die Schweine ins Futter gemischt bekamen. In dem Schweinefutterkübel bildete sich schnell ein fester Schaum, der so steif war, wie geschlagenes Eiweiß. Das war mein täglicher Hochgenuss, den Löffel hatte ich stets griffbereit. Die Muater seufzte jedes Mal und konnte das nicht mit ansehen. Das arme Kind kann ja nicht das Schweinefutter essen, das nur direkt aus dem Kübel so köstlich schmeckte. Also gab sie mir eines Tages eine volle Schüssel Maibutter mit nach Hause. Der. Frischen Rahm, der im Frühjahr wahrscheinlich besonders fett, aber vor allem geschmackvoll ist. Als Älteste von 5 Geschwistern habe ich immer alles mit meinen geteilt. Diesen Maibutter aber habe ich für mich alleine behalten und die ganze Schüssel heimlich aufgegessen. Das Geschmackserlebnis ist mir heute noch abrufbar, so hat Sahne nie mehr im Leben geschmeckt. In der Nacht lag ich wach und mir wurde elendiglich übel. Auf leisesten Sohlen wandelte ich die ganze Nacht zwischen Schlafzimmer und Bad, bis das letzte Quäntchen der Delikatesse in die Kanalisierung gekippt war. Beim Frühstück durfte ich nicht jammern, denn ich hätte ja auch teilen können. Mein nächtliches Treiben blieb mein Geheimnis. Was für eine Wohltat, ab sofort wieder genüsslich den Schaum aus dem Schweinekübel zu löffeln. Die Schleifermuater schüttelte weiterhin verständnislos den Kopf, ließ mich aber gewähren. Genuss ist etwas sehr Persönliches.

© Elisabeth Kinigadner 2020-05-17

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