von Christian Gosch
Perfekt, ich habe alles gepackt. Herd ist ausgeschaltet, Fenster geschlossen, Schlüssel in meiner Hand.
Ich stehe vollgepackt im Treppenhaus und muss eigentlich gleich noch die Bahn bekommen, wenn ich an meiner Lieblingsstelle sein möchte, noch bevor die Geschäfte öffnen. Dort kann ich abschalten und entspannend und mein Kopf findet Ruhe. Gerade schreit er nur so „Du hast etwas vergessen!“, dabei habe ich jede Tasche extra mehrmals überprüft. Egal, ich muss los.
Ich schaffe es noch rechtzeitig zur Bahn, auch wenn mir beinahe die Staffelei hingefallen wäre, als ich die Rolltreppe zur S-Bahn hinab zum Gleis gesprintet bin. Endlich, ich kann durchatmen. Ich atme die Luft am Dom ein und obwohl es ein wenig frisch ist, bin ich zuversichtlich, etwas Schönes produziert zu bekommen. „Oder überhaupt etwas produziert zu bekommen“, schmunzele ich in mich hinein.
Ich stelle meine Tasche neben einer der Bänke an der Kreuzblume ab, baue die Staffelei auf und sortiere mich. Sortiere meine Gedanken.
„Heute wird ein guter Tag“, denke ich und motiviere mich so zum ersten Strich.
Allmählich füllen sich die Straßen und der Platz am Dom. Mit ihnen füllt sich auch meine Leinwand, auf der ich versuche, den Blick auf den Dom und das rege Treiben festzuhalten.
„Wen haben wir denn da?“, murmele ich, während ich um meine Leinwand herum auf den Vorplatz blicke. Ein roter Kater spaziert am Vorplatz entlang und nähert sich der Kreuzblume. Er scheint sich weitestgehend unbeobachtet zu fühlen und bleibt nur kurz stehen, um Richtung Dom zu blicken, als dort ein Kind anfängt zu schreien. Es war jedoch nur hingefallen und hat sich erschrocken. Als der Kater dies ebenfalls bemerkt, wendet er seinen Blick wieder Richtung Kreuzblume und unsere Blicke treffen sich. Er verharrt kurz, scheint zwischen den flauschigen Ohren nachzudenken, was er als Nächstes machen sollte. Dann hockt er sich neben die Kreuzblume, genauer gesagt rechts von ihr. Dorthin, wo auf meiner Leinwand auch noch weiße Fläche ist.
„Möchte er etwas gezeichnet werden?“, geht es mir durch den Kopf, „Dann wollen wir ihm mal die Ehre erweisen. Oder erweist er mir die Ehre, wo ich ihn nun auf dem Bild festhalten darf?“
So sitze ich dort und zeichne den Kater, den Dom, die Menschen und den Platz davor.
„Du hast dem Bild nochmal mehr Leben gegeben, mein Kleiner“, murmele ich zufrieden und packe meine Sachen zusammen. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof streichele ich ihn kurz, was schnurrend entgegengenommen wird „Hoffentlich sehen wir uns wieder.“
Zu meiner Überraschung steht der Kater auf und begleitet mich zum Hauptbahnhof, wo er in der Menge an Reisenden untertaucht und verschwindet.
„Wie in einem Märchen“, denke ich und mache mich auf den Weg zu meinem Gleis.
© Christian Gosch 2024-03-10