von gerki
Mein Schulweg in der Volksschule war ungefĂ€hr dreiĂig Minuten lang. Es kam darauf an, welche Seite ich wĂ€hlte. Die Bachseite, das tat ich gerne, wenn andere Schulfreunde mit mir gingen und dann war ich meistens auf und auf voller Lehm- und Grasflecken, weil wir es dort immer sehr lustig hatten. NatĂŒrlich löste das zu Hause den Unmut der Mutter aus und setzte meistens saftige Strafen. Die andere Seite war die StraĂenseite, die ging ich meistens allein und war deshalb auch immer schneller. Das brachte mich dann auch rechtzeitig zum gedeckten Mittagstisch, der schon zu Hause auf mich wartete.
An der StraĂe gab es natĂŒrlich auch immer wieder Besonderheiten, die mich in ihren Bann zogen. Besonders das KĂŒnstlerhaus, an dem ich vorbeigehen musste, zog mich immer an, weil dort eine Art SperrmĂŒllzone war, in der sicher ungeheure SchĂ€tze verborgen waren. Und so war es an einem eher trĂŒben und kalten Wintertag, dass ich auf etwas vor dem KĂŒnstlerhaus aufmerksam wurde. Da stand doch ein fast lebensgroĂer Heiliger aus Gips vor der TĂŒre. Den musste ich mir natĂŒrlich genauer anschauen und wirklich er gefiel mir sehr. Irgendwie leuchtete er durch seine weiĂe Gestalt an diesem trĂŒben Tag ganz besonders und nachdem ja Weihnachten vor der TĂŒre stand, kam mir eine Idee: âMeine Mutter liebt die Heiligen, hat aber nur kleine Figuren zu Hause, ich werde ihr eine Freude machen und diesen Heiligen fĂŒr sie heim tragenâ.
Gesagt, getan â ich sah mich um, es war niemand in der NĂ€he, so nahm ich rasch den Heiligen, der etwas gröĂer war als ich und schleppte ihn mĂŒhselig die StraĂe entlang. Dabei merkte ich vor lauter Anstrengung nicht, dass ich vom Gips schon ganz weiĂ geworden war, und zwar vom Kopf bis FuĂ. Daheim angekommen, als sie die TĂŒre öffnete, war meine Mutter gar nicht entzĂŒckt, im Gegenteil sie war hell-auf entsetzt und rief: âWie schaust denn du aus und wo hast du denn diese Figur her?â
Es gab nun eine ordentliche SĂ€uberung. Der Heilige durfte nicht einmal ins Haus, er wurde vor dem Eingang abgestellt, was mich etwas traurig stimmte. Nachdem ich aber eine ordentliche Zurechtweisung ĂŒber meinen âDiebstahlâ und die Aufforderung zur BuĂe empfangen hatte, war ich ihm nicht mehr ganz so zugetan.
Also hieĂ es noch einmal Heiligen-schleppen, diesmal in die andere Richtung unter strenger Aufsicht der Mutter. Wir klingelten und kleinlaut bekannte ich den Diebstahl, bat um Vergebung und gab den Heiligen zurĂŒck. Lachend tĂ€tschelte mir die freundliche junge Frau die Wange und sagte: âWir dachten schon der Heilige vom MĂŒllhaufen ist jetzt vielleicht doch in den Himmel gefahren, aber so mĂŒssen wir ihn halt doch selbst entsorgen!â
© gerki 2022-11-12