Die elektrischen Schiebetüren öffnen sich und die Strahlen der Frühlingssonne scheinen mir ins Gesicht. Die Bahnhofsuhr zeigt 09:12 Uhr, als ich die Treppen zum Dom erklimme. Die Ströme an Touristen, die am Wochenende den Kölner Dom besuchen, sind immens: egal, wohin man schaut, Touristen wie Ameisen.
Mein Herz pocht und ich merke den ledernen Riemen der Gitarrentasche, der an meiner Schulter zieht, mehr als noch vor ein paar Minuten, wo ich die S12 von Ebertplatz zum Hauptbahnhof genommen habe. Ich habe lange darauf hingearbeitet, viel geübt und mir fast etwas Mut angetrunken. Doch der Schnaps steht noch im Glas auf dem Küchentisch daheim, unangerührt. Vorerst.
„Wenn ich das schaffe, habe ich keine Angst mehr. Wenn ich das schaffe, egal wie es ausgeht, fühle ich mich stark“, bekräftige ich mich, während ich mich an die dem Bahnhof zugewandte Wand des Kölner Doms stelle, mit nervösem Blick zur Treppe und zu den Menschen, die diese hinauf steigen, um dem Eingang des Doms näherzukommen. Mein erster Auftritt als Straßenmusiker und damit auch mein erster Auftritt vor Menschen, die nicht meine Nachbarn sind, welche meine zu Beginn dissonanten Übungseinheiten durch eine Mauer ertragen haben und dem mittlerweile rhythmischen Spiel lauschen dürfen.
„Genau darum meidest du größere Menschenmassen im Allgemeinen, Tom“, erinnert mich mein Hirn, „ich bin dennoch stolz auf dich, dass du schon mal nach hier gekommen bist.“
Ich grinse. Jedoch lässt meine Nervosität nicht ab und mein Plektrum fällt mir zitternd zu Boden, als ich den orangen Chip versuche aus der Tasche zu kramen. Es ist wie das Stottern zu Beginn eines Referats in der Schule oder den Klumpen an Speichel, den man vor der wichtigen Onlinepräsentation mit den Führungskräften herunterschluckt.
Während ich dort hocke und meine Gitarre eingepackt lassen will, merke ich eine plötzliche Wärme an meiner rechten Wade. Erstaunt blicke ich in zwei kleine Augen, die sich inmitten von rostbraunem Fell befinden und mir tief in meine Seele schauen. Der kleine Kater schmiegt sich weiter an mich, als ob er mich dazu auffordert, die Gitarre nicht wegzupacken und über meinen Schatten zu springen. Es ist, als wäre es um mich herum plötzlich ganz still, denn das Miau des Katers klingt trotz der Umgebungskulisse untypisch laut. Er miaut noch einmal, tippt meine Wade mit der Pfote an und setzt sich neben meine Tasche aufrecht hin. Ich frage mich, wo dieser Kater herkommt und warum sein Charme meine Angst wie ein Tornado davon weht.
„Du hast ja recht“, murmele ich leicht nörgelnd und doch dankbar in Richtung des Katers. Der macht es sich am Rande meiner Gitarrentasche gemütlich und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, als ich die Gitarre auspacke und mir umhänge, „Dann wollen wir mal, oder?“
Ich könnte schwören, dass der Kater genickt hat, bevor ich mich zur Treppe gewandt auf den mitgebrachten Hocker setze und den ersten Akkord spiele.
© Christian Schmitz 2024-01-16