Der Glücksclub

Fabian Burstein

von Fabian Burstein

Story

Die Konditionen des Glücks sind unberechenbar. Erst recht in einer Stadt wie Wien. Der Wienerlied-Texter Alexander von Biczo wusste schon früh Bescheid: „Das Glück is a Vogerl, gar liab, aber scheu, es lasst si schwer fangen,aber fortg’flogn is glei.“ Glück als Sinnbild für Kontrollverlust. Eine Ur-Angst der Wiener Seele nimmt im Gewand des scheuen Vogels Konturen an. Doch Wien wäre nicht die Geburtsstadt der Psychotherapie, hätte sie nicht umgehend Strategien der Angstbewältigung entwickelt. Eine dieser Strategien hat ein Antlitz aus Beton. Ganz so, als könne man die Flüchtigkeit des Glücksmoments durch baulichen Brutalismus in die Knie zwingen. Auch dieses Missverständnis passt zu Wien.

Metzleinstaler Hof, Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz, Per-Albin-Hansson-Siedlung, Am Schöpfwerk. Vier Versuche, das Lebensglück der Menschen einer architektonischen Planbarkeit zu unterwerfen. Vier Versuche eines Glückskolonialismus, der ein Gefühl in einer Satellitenstadt züchten will. Ein Jahrhundert nach dem ersten Gemeindebau wissen wir: Leistbarer Wohnraum lässt sich planen. Aber nicht, was darin passiert.

Ändert sich etwas daran, wenn sich Glück personifiziert? Es scheint so, denn die weithin sichtbaren Türme von Alt Erlaa in Wien/Liesing wurden vom Architekten und Bühnenbildner Harry Glück realisiert. „Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl“, soll sein Leitspruch gewesen sein. Ob darin eine Ich-bezogene Koketterie steckt, konnte nie geklärt werden. Jedenfalls war Harry Glück erfolgreich. Als Bühnenbildner hat er in Alt Erlaa eine Kulisse erschaffen, die sich nahtlos in jedes sozialpornografische Reality-TV-Format einfügen würde – das Areal schwingt plakativ zwischen Prekariat und Mittelstandsghetto. Als Architekt hat er eine Siedlung realisiert, die seit jeher die höchsten Zufriedenheitswerte im Wiener Wohnhausanlagenkosmos hervorbringt. Wobei der kompetitive Rahmen fragwürdig ist. Harry Glück hat keine „Anlage“ gebaut. Auch keinen „Hof“ und schon gar keinen „Bau“. Er hat einen „Wohnpark“ entworfen. Am Dach jedes Turms ist ein Pool und die Wohnungen folgen dem Prinzip des „gestapelten Einfamilienhauses“. Das alles ist so verwirrend, dass sich die Wochenzeitung „Die Zeit“ in der Behauptung verstieg, das Glück in Alt Erlaa ließe sich auf 33 Clubs in fensterlosen Räumen zurückführen.

Das Glück ist also kein Vogerl. Es ist ein Aerobic-Club in Alt Erlaa. Eine wunderbar bizarre Vorstellung, die den Wiener Glücksbegriff präzise auf den Punkt bringt.

© Fabian Burstein 2021-07-05

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