Der grausame Algorithmus

Klaus Schedler

von Klaus Schedler

Story

„Ich schlage vor, wir schrauben den Sozialaufwand rigoros zurück und finanzieren mit den so freiwerdenden Mitteln Leistungsanreize innerhalb der aktiven Erwerbseinkommen.“ Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. „Das kannst du doch nicht machen, denn das trifft doch primär die Schwachen und begünstig allein die Starken“ so mein Einwand, worauf man mir entgegnete: „Hör mal, wir stehen hier in einem beinharten Wettbewerb und können uns solche Gefühlsduseleien nicht leisten, weil sonst die ganze Firma baden geht.“

Wo war ich hingeraten? Unser Institut arbeitete mit einer Einrichtung zusammen, die sich der Förderung des Wirtschaftswissens bei Schülern und Studenten verschrieben hatte. An diesem Wochenende zu Beginn der 80er hatten sich die Trainer verabredet, zum Spaß gegeneinander anzutreten und ich hatte gefragt, ob ich da mitmachen darf.

Mein Wirtschaftswissen war eher oberflächlich, doch wusste ich von mathematischen Modellen, deren Parameter von gewieften Experten gesteuert, zu einer ausgewogenen ökonomischen und sozialen Entwicklung führten. Der Erfolg ließ sich an Kriterien wie dem Bruttoinlandsprodukt und dem Lebensstandard messen. Zu Beginn der 80er tauchten hierzu gleichsam als Weiterentwicklung des Monopoly oder DKT komplexe Wirtschafts- und Unternehmensplanspiele auf, bei denen man sich im Team auf Stellgroßen wie Produktionszahlen, Gehaltsentwicklung, Investitionsaufwand, entnommene Unternehmensgewinne und dgl. einigte. Diese wurden in einen Rechner eingegeben, der dann über Erfolg und Misserfolg entschied. In Varianten konnten überdies die Wirkung der Wirtschaftsstrategien in Stresssituationen wie Handelshemmnisse, Konsumschwäche, Arbeitskämpfe etc. erprobt werden.

Eigentlich ein für mich reizvolles Thema, da mir ähnliche Algorithmen aus der Psychologie bekannt waren und ich wusste, dass damals schon die Spieltheorie in den Wirtschaftswissenschaften ein riesiges Anwendungsfeld gefunden hatte. Das wohl bekannteste Beispiel lieferte der Princeton Mathematiker John Forbes Nash, der 1994 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften (und nicht für Mathematik) ausgezeichnet wurde und dessen Schicksal später im Film „A Beautiful Mind“ dokumentiert ist.

In der damaligen Spielsituation fühlte ich mich jedoch äußerst unbehaglich, weil meine Mitspieler durchgehend für mich kaum nachvollziehbare, ja sogar menschenverachtende Entscheidungen trafen. Der Hintergrund war folgender: Die anderen waren ausnahmslos Trainer, die haargenau wussten, mit welchen Stellgrößen sich die größten Erfolge erzielen ließen und dabei dann beinhart über Leichen gegangen sind, weil sie ja ohnehin nur gegen einen Algorithmus gespielt haben.

Soweit so gut, doch seitdem befürchte ich, dass in Unternehmensleitungen und bei Unternehmensberatern bisweilen Leute sitzen, die den Unterschied zwischen Planspiel und Realität nicht so recht begriffen haben.

© Klaus Schedler 2020-01-20

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