von Christoph Bauer
Sie glauben, Ihr Nachwuchs hortet Süßigkeiten und allen möglichen anderen Krams, rein aus Jux und Tollerei? Weit gefehlt.
Meinen empirischen Studien nach entwickelt sich in heimischen Kinderzimmern ein Tauschhandel, der Bitcoin & Co. alt aussehen lässt. Und das funktioniert so:
Eines Morgens, ich musste meine beiden Töchter zur Schule bzw. zum Kindergarten bringen und wir waren – wie üblich – spät dran: Da konnte sich meine Jüngste nicht dazu entschließen, ihre Stiefel anzuziehen. Warum? Keine Ahnung. Murphys Gesetz. Tritt immer dann in Kraft, wenn man es am wenigsten braucht.
Es war Mitte Februar, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Ich aber schon am Kochen, weil nach Abliefern der Prinzessinnen ein nicht unwichtiges berufliches Meeting anstand. Hastig holte ich diverse, stümperhafte Überzeugungsversuche aus der pädagogischen Mottenkiste hervor: „Na gut, dann kommen wir eben zu spät.“ Null Reaktion.
Nächster Anlauf: „So! Mäuschen!“ – und auffordernd in die Hände geklatscht – „wir müssen los“. Keine Chance. Immer noch Chuck Norris Gesichtsausdruck. Und jetzt noch mal gaaanz in Ruhe. „Also, es ist so, wenn du ohne Stiefel raus gehst, wirst du garantiert Husten oder Schnupfen bekommen.“ Auch keine wirkungsvolle Ansage. Als Vierjährige hast du alle paar Tage eine schniefende Nase. Aussichtslos, denke ich. Wir kommen heute nicht mehr weg. Und wenn, dann nur mit einem Schnee-Socken-Kind. Da schiebt mich meine Größere ganz cool zur Seite: „Papa, lass mich mal machen.“
Mit einigem Abstand verfolge ich das anschließende Gemauschel meiner Töchter. So oder so ähnlich wird wohl der Hinterzimmer-Deal zwischen Merkel und Macron abgelaufen sein, als es um die Nominierung von der Leyens zur Präsidentin der Europäischen Kommission ging:
„Du kriegst ein Auge von mir …“
„Nein, zwei Augen“ …
Bevor Sie jetzt die Spezialeinheit des Jugendamtes alarmieren: „Augen“ sind eine Leckerei aus der Süßwarenabteilung, auch „Trolli Glotzer“ genannt. Sehen gruselig aus, werden aus Schaumzucker-Gummibonbon hergestellt. Ob sie wie echte Augen schmecken, weiß ich nicht. Habe weder das eine noch das andere verkostet.
„Aber nur, wenn ich deine blonde Barbie morgen und übermorgen haben darf.“
„Nur morgen, dafür übermorgen meinen pinken Haarreifen.“
„Abgemacht, ziehst du jetzt die Stiefel an?“
„Na guuuuut!“
Hallelujah! Die Kleine wurde nach allen Regeln der Verhandlungskunst überzeugt. Noch mehr als die gelungene Diplomatie-Demonstration überraschte mich aber das selbstlose Eingreifen meiner Großen. Denn an und für sich wäre es für sie auch keine Katastrophe, wenn sie zu spät zur Schule kommt. So wie ich sie kenne.
„Warum also dieses plötzliche Pflichtbewusstsein?“ grübelte ich und erhielt die Antwort von meiner Älteren, die mir – kurz nachdem wir eiligst die Wohnung verlassen – zuraunt:
„Papa, du schuldest mir zehn Gummibärchen und ein Glitzerarmband!“
© Christoph Bauer 2020-01-28