von Hermann Karosser
In MĂŒnchen herrschte wie so oft Wohnungsnot, 1973, als ich mit meinem Studium dort begann. Weder das ehemalige Olympiadorf, noch die âStudentenstadtâ hatten die Situation entspannen können. Aber ich gehörte zu den Privilegierten, die sich nicht in eine WG zwĂ€ngen oder in einem Gartenhaus wohnen mussten, ich hatte einen Platz im Studentenwohnheim, mitten in Schwabing. â Wieder einmal hatte mein Vater seine Beziehungen genutzt, einen befreundeten Kollegen angerufen, dessen Sohn im Beirat des Studentenheims Sitz und Stimme hatte. PĂŒnktlich zu Semesterbeginn konnte ich einziehen.
Es war keine Komfortunterbringung, aber fĂŒr Studenten durchaus angemessen, âLehrjahre sind keine Herrenjahreâ. Die erste Zeit musste man sich mit Doppelzimmerunterbringung abfinden, spĂ€ter â je nach Fluktuation â kam der Aufstieg ins Einzelzimmer/StraĂenseite und schlieĂlich â wegen der Ruhe fĂŒrs Examen â das Einzelzimmer/Gartenseite.
Das wohl interessanteste an diesem Haus war seine InternationalitĂ€t. Am gleichen Gang wohnten Studenten aus Skandinavien, aus dem Nahen Osten, SĂŒdamerika und was weiĂ ich noch woher.
Mein erster Zimmergenosse war ein Ăthiopier mit dem verdĂ€chtig nichtssagenden Namen Ali Ahmed. Er war deutlich Ă€lter als ich und hatte angeblich eine Frau in der Heimat. Was er in MĂŒnchen studierte, hab ich nie so recht herausgebracht. Er war auch noch nicht sonderlich vertraut mit unserer Sprache, so dass ich mit ihm mein Schulenglisch ein wenig fortentwickeln konnte.
Da er nicht allzu viel Anschluss gefunden hatte und ĂŒber das MĂŒnchener Stadtgebiet noch nicht hinausgekommen war, fĂŒhlte ich mich verantwortlich dafĂŒr, ihm Land und Leute nĂ€herzubringen. Zum Beispiel, indem ich ihn an einem Wochenende mit nach Niederbayern nahm. Meine, und auch Renateâs Familie hatten bis dahin noch kaum einmal Kontakt mit einem Menschen dunkler Hautfarbe aus Ăthiopien oder einem Ă€hnlich exotischen Land gehabt. Umso mehr versuchten sie den jungen Mann auszufragen, wo genau er herkomme, wie es denn dort so sei, ob man womöglich hungern mĂŒsse und so weiter.
Ali war ein sehr ruhiger Typ, nett, zuvorkommend, bescheiden und in keinster Weise aggressiv. Aber wenn er auf seine Heimat Ăthiopien angesprochen wurde, ging ein Ruck durch den sonst eher lethargisch wirkenden Typ und wie ein Fluch brach aus ihm heraus: âHaile Selassie ScheiĂ!â â Der damalige Kaiser von Ăthiopien stellte offensichtlich das gröĂte Feindbild fĂŒr meinen Gast dar, denn was folgte, war eine Schimpftirade in Amharisch oder einer der sonstigen 80 Sprachen, die dort gesprochen werden.
Haile Selassie, Kaiser von Ăthiopien, der das Land angeblich vom Mittelalter in die Moderne gefĂŒhrt hatte, wurde am 27. 08.1975, im Alter von 82 Jahren mit einem Kissen erstickt. Eine MilitĂ€rjunta ĂŒbernahm die Macht.
Ali Ahmed war kurze Zeit vorher aus dem Studentenwohnheim in Schwabing ausgezogen, Ich habe ihn aus den Augen verloren und nie mehr getroffen.
© Hermann Karosser 2020-12-20