von Beate-Luise
Jetzt gehts bergab mit mir, dachte ich, als ich mich abends bettfertig machte. Peinlicher kaum noch möglich…Im Winter – auch wenn Hamburg selten so kalt ist, wie in diesem Februar – trage ich immer zwei Paar Socken übereinander. Denn ich habe verstanden, kalte Füße machen schlechte Laune. Unser altes Haus ist zugig und ich friere oft. Zu dünn, zu niedriger Blutdruck etc. Mit Zwiebellook geht es einigermaßen.
Beim Ausziehen also verhakte sich einer meiner Finger im Doppelgesocks, während ich einbeinig das Gleichgewicht verlor und reflexartig das in der Luft finger-fixierte Bein zur Landung herunterzog. Hui, ein Schmerz in besagtem Finger. Aber egal, erstmal weitermachen mit Zähneputzen und Abtakeln. Dann ein kurzer Blick auf den Finger, ja – es war der Mittelfinger! Obenrum hing er. Im Bett besah ich ihn aus der Nähe. Trotz aller Versuche bekam ich ihn nicht mehr hoch. Hatte aber wenig Schmerz und alles sonst war beweglich. Also nix gebrochen. Scheiß drauf, dachte ich, morgen steht er wieder. Ich las ein paar Seiten, aber mein Blick fiel immer wieder auf das hängende Glied. Ich stand nochmals auf und kühlte.
Am Morgen dasselbe traurige Bild: Der obere Teil des Mittelfingers hing auf 90°. Vielleicht Viagra…? Mein Sohn, der aus dem Homeschooling zum Kaffee runterkam, unterbrach diesen Gedanken. Ich zeigte ihm den Finger und er rief entsetzt: “Iiiih! Was ist DAS denn?! Sieht ja gruselig aus!“ Nun erwachte meine Eitelkeit. Der Unfallarzt, zu dem ich früher mit den Kindern bei Sportverletzungen fuhr, hatte bis Mittag eine offene Sprechstunde. Diagnose: Strecksehnenriss. Therapie: acht (!) Wochen permanentes Tragen einer Plastikschiene, einer sog. Stack-Schiene. Sieht aus wie ein Ring, oben einfach, unten doppelt. Wenn man die Schiene löst, etwa zum Waschen oder Eincremen der Hände, muss das Fingergelenk unbedingt gestützt liegen. Falls es wieder runterklappt, beginnen die acht Wochen von vorn. Das Nichtgelingen heißt im Volksmund Hammer-Finger.
Erst war ich erleichtert und grinste über den fleischwurstfarbenen Ring an meiner Rechten. Der freundliche Doc hatte mir noch geraten, diesen zusätzlich mit Heftpflaster zu fixieren. Auch gab er mir einen zweiten Ring eine Größe kleiner mit, wenn die Schwellung (welche denn?) zurückgehen würde.
Heute ist Tag 5. Das Glied kam trotz aller Bemühungen jeden Tag wieder zum Hängen. Heute bis Mittag schon dreimal! Bitte – wie soll ich 8 Wochen schaffen? So reizvoll die Vorstellung auch ist, ich kann leider nicht nur auf dem Sofa liegen. Vermutlich werde ich also noch Weihnachten mit der Stack´schen Ringtagezählung bei Null anfangen.
Das Tape sieht nach einmal Händewaschen aus wie Sau und hängt als Fetzen über dem hässlichen Plastikring. Beim Eincremen löst sich das ganze Gebinde, verrutscht unmerklich und das Glied hängt erneut. Therapeutische Sisyphos -Arbeit!
Doch die Frage aller Fragen: Werde ich je wieder den Mittelfinger zeigen können, ohne mich lächerlich zu machen?
© Beate-Luise 2021-02-21