Der Hamster, der mich zum Chemiker machte

TomSpeaker

von TomSpeaker

Story

Ich begann mit der Arbeit Sonntag in der Früh, gegen 7 Uhr. Wenn es gut klappte, wäre ich gegen Mittag fertig. Den Hamster hatte ich am Vorabend aus der Tiefkühltruhe geholt. Er lag neben den beiden Amseln und dem kleinen Fuchs. Meine Mutter hatte viel Verständnis für mein sonderbares Hobby und erlaubte mir, die Tiere zwischen zu lagern, bis ich mich um sie kümmern konnte.

Der Hamster gehörte Herrn Schulze, 78 Jahre, stark weitsichtig. Viele Jahre hatte er Freude gehabt an Fred. Aber jetzt war Fred gestorben. Herr Schulze entschloss sich, ihn ausstopfen zu lassen -zur Erinnerung an die schöne Zeit zu zweit.

Ich nahm den Auftrag an. 20 Mark, eine gute Stange Geld. Ich war 16 Jahre, jüngstes Mitglied im Verband der Präparatoren Deutschlands. Schon als Knirps liebte ich Tiere, war viel draußen. Auf Flohmärkten sah ich manchmal präparierte Tiere. Nur, sie waren so teuer. Also entschloss ich mich mit 12 Jahren, selber Tierpräparator zu werden und damit später auch mein Geld zu verdienen.

Es begann eine harte Zeit für mich. Auch wenn ich die reine Technik des Abhäutens bald beherrschte, mir fehlte letztlich die künstlerische Ader. Der Eichelhäher ähnelte mehr einer Ente, das Kaninchen mehr einer Ratte, wenn ich mit meiner Arbeit fertig war. Bei Vögeln konnte ich noch einiges improvisieren. Die Federn verdeckten kleine und große Makel. Aber bei Mäusen und anderen Säugetieren gab es keine Federn, alle Unzulänglichkeiten waren leicht zu sehen.

Beim Hamster gab ich kurz vor zwei auf. Ich hatte alles probiert. An einigen Stellen nachgestopft, an anderen Material weg genommen. Zugenäht und wieder aufgemacht. Jetzt ging nichts mehr. Das Fell war schon ziemlich mitgenommen. Fred sah aus wie eine Mischung aus Maulwurf und Pudel, einfach schrecklich. Aber was sollte ich tun?

Am anderen Tag ging ich mit Pudding in den Knien zu Herrn Schulze. Ich habe Angst vor Schlägen und befürchtete, er würde einen Wutanfall bekommen, weil ich Fred so zugerichtet hatte. In meiner Not betete ich zu meinem Freund Gott. Ich schwor, wenn ich die Übergabe überleben würde, würde ich nie wieder Tiere ausstopfen.

Herr Schulze öffnete die Tür. Ohne Worte gab ich ihm Fred. Ein Wunder war geschehen! Herr Schulze konnte seine Brille nicht finden und war fast blind. Er sagte nur „Danke!“, gab mir mein Geld. Die Tür schloss sich.

Ich hielt mein Versprechen und stopfe nie wieder ein Tier aus. Stattdessen wurde ich Chemiker. Bei uns in der Nähe soll es noch Feldhamster im Freien geben. Vielleicht klappt es ja, das ich nächstes Jahr mal einen sehe. Lebendig.

© TomSpeaker 2020-07-25