von Michaela Schmitz
Die Herbstsonne schien warm ins Wohnzimmer. Meine Mutter saß am Sofa, in ihrem Lieblingsgewand (sie hatte sich hübsch gemacht) und der Sauerstoffflasche neben ihr. Mein Vater hatte weiße Chrysanthemen und eine Flasche russischen Sekt besorgt. Er wollte den 33igsten Hochzeitstag mit meiner Mutter gebührend feiern. Ich hatte ein kleines Geschenk vorbereitet. Meinem Vater war es immer wichtig, dass ich ihnen etwas zum Hochzeitstag schenkte. Mir war nicht zum Feiern. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen, meiner Mutter half kein Schmerzmittel so richtig gegen die starken Schmerzen in den Beinen. Auch der Arzt war ratlos – er konnte sich das nicht erklären. Morphium war ja keine Option mehr. So tasteten wir uns durch die unterschiedlichen Arten von schmerzstillenden Medikamenten. Mein Vater öffnete die Sektflasche, goß die dunkelrote Flüssigkeit in die Gläser. Meine Mutter konzentrierte sich darauf, ruhig und tief zu atmen. Wie immer zu solchen Anlässen hielt mein Vater eine kleine Rede. ‚Zur Feier des Tages – wir sind nun 33 Jahre verheiratet – gibt es Blumen und Sekt. Und hier habe ich einen Gutschein für eine Urlaubsreise. Nur wir zwei. Wir sollten das bald machen. Wenn unser Geschäft es zulässt. Aber bald! Ich liebe Dich. Ich trage Dir Deine Sauerstoffflasche. Wir werden den 34igsten Hochzeitstag auch noch feiern.‘ Seine Worte streiften mein Ohr, ich konnte die Worte aber nicht fassen, so unfassbar war diese Situation. Der Tod war mit im Raum und er sprach vom nächsten Jahr. Warum sind wir für das Offensichtliche so blind? Meine Mutter antwortete unter Tränen: ‚Danke für die Blumen. Und danke für den Sekt. Du weißt, es ist zu spät. Ich habe es schon gesagt. Du kannst mir heute am Abend wieder ein Weinchateau machen. Ich habe gute Tage, ich habe schlechte Tage. Aber an keinem Tag werde ich fähig sein, mit Dir zu verreisen. Nie mehr wieder.‘ Sie konnte nicht mehr. Beide weinten. Ich hatte keine Tränen mehr parat, die letzte Nacht war zu lang und zu schmerzhaft gewesen. Ich musste zur Arbeit. Alles fühlte sich so unwirklich an. Der Druck stieg, das scheinbare Gebälk um mich knarzte – wie viel kann man ertragen? Meine Eltern saßen schweigend da, als ich mich verabschiedete. Am Abend kehrte ich zurück. Mein Vater schaute fern, das Weinchateau war fertig, meine Mutter lag im Wohnzimmer am Sofa. Alles wirkte friedlich. ‚Könntest Du mir beim Waschen helfen? Ich schaff‘ es nicht mehr alleine in die Badewanne.‘ sagte meine Mutter. Natürlich konnte ich ihr helfen. Und natürlich wusch ich sie. Und natürlich weinten wir dabei. ‚Los, frag‘ schon‘ sagte sie, als sie im Bett lag. ‚Ich kann diese ‚Corona-Zeit‘ nicht einordnen. Aber vielleicht ist das der Grund, warum ich mich so steuerlos fühle.‘ sagte ich. ‚Kontrollverlust!? Dein Leben ist nicht mehr wie vor der Krise. Aber hattest Du davor alles unter Kontrolle? Denk‘ darüber nach!‘
Meine Mutter starb am 13.11.1985 mit 55 Jahren. Todesursache: Lungenversagen durch Lungenkrebs
© Michaela Schmitz 2020-05-13