von Inga Schmidt
Wie ferngesteuert stolperte ich durch die Straßen meiner Stadt. Die Tränen rannen mir ohne Unterlass das Gesicht herunter und nahmen mir die Sicht. Ich wusste nicht, wie lange ich schon hier herumirrte; 2 Stunden, 5, vielleicht? Oder waren es nur ein paar Minuten?
Ich war einfach gegangen. Musste an die frische Luft.
Alles fing so harmlos an: Mein Mann war von seiner Dienstreise nach Mallorca zurückgekehrt. Er pendelte seit 3 Jahren regelmäßig von unserer Wahlheimat Mallorca zu seiner Firma in Deutschland und blieb meistens 7-10 Tage im Monat von uns fern. Die übrigen Tage arbeitete er von der Insel aus. Seit einigen Monaten blieb er länger in Deutschland, da gerade viel in der Firma zu tun war. Mein Sohn vermisste ihn immer sehr und wir holten seinen Papa immer am Flughafen ab, damit er ihn so schnell wie möglich sehen konnte. So auch heute. Was für eine Wiedersehensfreude – 3 Wochen blieb mein Mann dieses Mal fort. Eine lange Zeit für eine kleine Kinderseele. Wir fuhren vom Flughafen direkt zum Strand und feierten unser Familien-Wiedersehen. Ein schönes Abendessen zu dritt, dann ab nach Hause und den Kleinen ins Bett gebracht. Ich freute mich auf einen gemütlichen Austausch mit meinem Mann – wir konnten immer so vertraut und offen miteinander reden.
Als ich ins Wohnzimmer kam, fand ich auf dem Sofa einen in sich zusammengesunken Mann mit tiefen Augenringen vor – grotesk umrahmt von einem herrlichen Sonnenuntergang, welcher sich durch die großen Schiebefenster des Zimmers warf. Als ich meinen sonst sehr fröhlichen und ausgeglichenen Mann fragte, was ihn bedrücke, schaute er zu Boden und sagte: „Ich habe eine andere Frau geküsst.“ Ich starrte ihn ungläubig an. Wie durch ein Rauschen hörte ich etwas von „es hat erst nichts bedeutet“, „etwas stimmt mit mir nicht“, „es hat nichts mit dir zu tun“. Es war ein sehr langer Monolog. Am Ende wollte er mir nur mitteilen, dass er zu dieser Frau nach Deutschland gehen würde und keine Familie mehr haben wollte. Er wollte frei sein und mit ihr reisen.
Das war der Augenblick, wo ich die Haustür hinter mir schloss und der Irrweg durch die Stadt begonnen hatte. Ich stoppte an einer roten Ampel, die einsam in der Nacht leuchtete. Genauso fühlte ich mich. Ein kleines Licht allein in der Dunkelheit. Was sollte ich denn jetzt tun? Mein Mann war mein bester Freund gewesen, wir haben alle Geheimnisse geteilt – dachte ich bislang jedenfalls. Nun war ich allein.
Schluchzend lief ich weiter, bis ich an den Felsen ankam, an denen sich das Meer immer so schön brach, wenn der Sturm über das Mittelmeer toste. Heute platschte das Wasser friedlich und sanft an die Felsen, als wollte es mich trösten. „In jedem Schmerz steckt eine Chance.“ sagte eine Stimme leise schräg unter meinen Füßen. Ich erschrak. Wo kam diese Stimme her? Ein leises Lachen folgte und eine kleine Lampe leuchtete auf – das schwache Licht zeigte mir einen liebevoll lächelnden Mann, welcher vor dem Eingang einer unterhalb des Weges verborgen Höhle saß. Das Leben führt einen von einem Wunder zum Nächsten.
© Inga Schmidt 2024-02-22