Die Hollerstauan

Hermann Karosser

von Hermann Karosser

Story

Der Holler, anderenorts auch als Holunder bekannt, ist ein wahres Unkraut. Und unser nach heutigen MaßstĂ€ben weitgehend naturbelassener Garten bot diesem GewĂ€chs wahrlich paradiesische Entwicklungsmöglichkeiten.

Mit seinem dichten Laub und vor allem den hellgelben, fast weißen BlĂŒtenstĂ€nden prĂ€gte der Holler Ende Mai / Anfang Juni das Bild des großen Gartens. Wie der Flieder im Mai den Großvater zu Leiter und Gartenschere greifen ließ, war auch jetzt fĂŒr ihn das Signal zu einem alljĂ€hrlichen Ritual gegeben: Der Ernte der HollerblĂŒten. Denn in heute kaum noch vorstellbarer Akribie wurde damals alles, was irgendwie essbar war, zu einer wie auch immer gearteten Gaumenfreude umgewandelt. Das „Unkraut“ Holler bot dafĂŒr sogar zweimal Gelegenheit.

Wenn, je nach Wetter, schon im Mai, spĂ€testens aber im Juni der Holler in voller BlĂŒte stand, wurden die schon so schön anzuschauenden BlĂŒtenstĂ€nde, deren Geometrie irgendwie an die von Eiskristallen erinnert, gepflĂŒckt, gewaschen, in einen dĂŒnnen Pfannkuchenteig getaucht und im schwimmenden Butterschmalz heraus gebacken. Hollerkirchl nennt sich diese Köstlichkeit. Mit Puderzucker bestreut wurden sie zum Kaffee oder als Nachspeise serviert. Der wĂŒrzige Geschmack des Hollers mag zwar nicht jedermanns Gusto sein, fĂŒr uns gehörte er damals aber zum Jahreslauf, so wie die PlĂ€tzerl an Weihnachten und die „Auszognen“ im Fasching.

Nach der Ernte der letzten HollerblĂŒten machten wir Buben uns ĂŒber die „Hollerstauern“ her. Mit seinem hellen, extrem weichen Holz ist der Holler nĂ€mlich bestens geeignet fĂŒr alle möglichen Basteleien. Die lautesten Pfeiferl haben wir damit gebaut, mit fester Tonlage oder variabler Musik durch raus- und reinschieben eines Steckerls in einem hohlen ZweigstĂŒck.

So wie die HollerblĂŒte mit den Hollerkirchln den Sommer quasi einlĂ€utete, beendeten ihn die Hollerbeeren mit dem „Hollerkoch“. Die dunkelrot / dunkelblauen, ja fast schwarzen FrĂŒchte des Hollers wurden dort, wo die BlĂŒten nicht abgepflĂŒckt worden waren, vom Großvater in einem Korb gesammelt, von Großmutti, Mutti, Tante Anni und wer zum Helfen grad da war, von den StĂ€ngeln befreit und in einen großen Topf gefĂŒllt. Ganz schwarze Finger bekamen sie davon, was aber ob des bevorstehenden Genusses gerne in Kauf genommen wurde. In dem Topf mit Äpfel-, BirnenstĂŒcken und viel Zucker zu einem Mus verkocht, schmeckte der Hollerkoch warm oder kalt gleichermaßen köstlich, besonders mit einem Schuss Sahne.

Wir haben in unserem kleinen Garten auch zwei Hollerstauern untergebracht und versuchen uns immer wiedermal mit Hollerkirchln und Hollerkoch. Neuerdings machen wir auch Hollersirup aus den BlĂŒten. Den nehmen wir als Grundlage fĂŒr das ModegetrĂ€nk „Hugo“.

Aber zu welchem Zweck auch immer ich mich an meine HollerbĂŒsche mache, immer ist es mir dann, als wĂŒrde ich irgendwo im Jenseits meinen Großvater laut seinen allerliebsten Fluch ausstoßen hören: „Kreiz, Birnbam, Hollerstauan!“

© Hermann Karosser 2020-08-28

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