Aufgewachsen bin ich auf einem Vierkanter im Mostviertel. Die nicht umzäunten Grünflächen rund um den Hof wurden als „Draußen“ bezeichnet. Niemand wäre auf die Idee gekommen, diese als Garten zu betiteln.
Dennoch gibt es in unserem Sprachgebrauch einen Garten, besser gesagt ein „Gardl“, wobei das stumme „D“vom nasalen „R-L“ verschluckt wird. Eine Eigenart des Mostviertlerischen, die kaum ein Nicht-Muttersprachler richtig zu artikulieren vermag.
Das, was meine Mutter als ihr Gardl bezeichnete, waren jene 10 mal 8 Meter vor unserem Haus, die von einem Holzlattenzaun umgeben waren und rein der Gemüse- und Obstzucht dienten.
Der Holzlattenzaun fungierte in den Wintern meiner Kindheit außerdem dazu, die gefallenen Schneemengen mit jenen von vorigen und künftigen Wintern zu vergleichen. „Schau, da hatt`s so vü Schnee, dass der Gardlzaun nit amal rausg‘schaut hat.“ So kommentierte mein Vater die Bilder vom Winter 1988. Mein Lieblingsfoto zeigt einen riesigen Schneeberg, nur die oberen Enden der Holzlatten spitzen heraus. Meine große Schwester im kessen Schioverall hat mich eben auf den Schneehaufen gesetzt. Und ich trage einen knallroten Ganzkörperschianzug mit weißen Punkten, einen Fopper im Mund sowie einen etwas unentspannten Gesichtsausdruck.
Dann aber, nach der Schneeschmelze und genauem Studium der mittelfristigen Temperatur- und Wetterprognosen, verwandelten sich die 80 Quadratmeter Bauerngarten in ein Paralleluniversum, in das meine Mutter versank, um noch zeitigere, größere und g`schmackigere Gemüsesorten zu ziehen als im Vorjahr (und als die Nachbarinnen).
Jedenfalls war meine Mutter ab dem Moment, wo sie mit diversen Gartenutensilien den mit Draht zugehängten Zaun aufschob und ihre Kübel am Rande der Beete positionierte, nicht mehr ansprechbar. Wie eine Zen-Buddhistin harkte sie die Erde, kommentierte murmelnd den Wachstumsfortschritt der Salatpflanzen, teilte den Samen die für sie optimalen Plätze zu. Zeitweise wischte sie ihre lehmigen Finger in der Kittelschürze ab, sobald ein Auto vorbeifuhr und machte mit der Hand eine Grußbewegung, um sogleich wieder in die Harkmeditation abzutauchen. Manchmal stützte sie sich am Holzstiel ab. Dann zog sie aus den Tiefen ihrer Kittelschürzentaschen ein von Erde schmutziges Stofftaschentuch heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn, die dann mit Erdstriemen versehen das Andenken an die Wischbewegung trug.
Ich erinnere mich, dass die Frühsommermonate eine kommunikationsarme Zeit in der Familie waren. Mein Vater war mit meinem Bruder auf den Feldern unterwegs, meine Mutter stand von früh bis spät im Garten. Dennoch konnte ich dieser Zeit etwas abgewinnen. Durch die Holzstiele von Spaten, Harken und Rechen wurden Mamas Finger so rau, dass sie meinen ständig juckenden Rücken am Abend ohne Fingernageleinsatz kraulen konnte. Sie streichelte mit der bloßen Handfläche über meinen Rücken. Das Jucken hörte auf und ich schlief ein.
© Anna Freudenschuß 2021-04-03