Der Hutmacher

Sandra E. Mae

von Sandra E. Mae

Story

Die Hüttentür öffnete sich. Und dort saß er.

Der, den sie „Hutmacher” nannten – „Hatter”.

Auf einem silbernen Stuhl, ganz grazil die Beine übereinander geschlagen, in einen violetten Anzug gekleidet. Einen Hut trug er, obgleich seines charakteristischen Namens, nicht. Stattdessen zierte eine Tätowierung seinen kahlen Kopf; mystisch verzweigte Ornamente, die sich wie Schlangen über sein Haupt wanden. Den Kopf hatte er in seine rechte Hand gestützt, die linke ruhte auf dem Schreibtisch vor ihm. Sachte trommelten seine Finger auf das Holz, wie der Regen gegen die Fensterscheiben.

„Hatter?”, fragte Alice. Er hob den Blick. Große Augen funkelten sie an, blaue Flammen in düsterer Nacht. „Der bin ich”, sagte er. Eine Gänsehaut kroch über Alices Rücken, schaurig-schön. Sie holte Luft, machte einen Schritt in Hatters Richtung. „Du machst also Hüte?” Hatter legte den Kopf schief. Sein Gesicht war so kantig, dass man ein Streichholz an seinen Wangenknochen hätte anzünden können. „Weißt du”, sagte er und erhob sich, „ich glaube, du willst genauso wenig einen Hut haben wie ich. Wir sind gleich, du und ich. Wir alle sind gleich. Und doch sind wir es nicht. Wir sind ein ewiges Uhrwerk, wo jedes Rädchen geradezu perfekt ins andere greift. Tick. Tack. Tick. Tack.” Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Komisch, nicht?”

Alice nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Ich muss meinen Weg finden. Man sagte mir, du könntest helfen.” – „Oh, ich bin gut im Auffinden von allerlei Dingen”, antwortete Hatter, schritt zum Fenster und blickte in den Regen hinaus. „Allerdings ist ein Weg kein Ding, nicht wahr?” Ein Blitz zuckte über den Himmel. Hatter drehte sich wieder zu Alice um. Sie hatte Mühe, seinem stechenden Blick standzuhalten. „Welchen Weg suchst du denn?”, fragte er. „Na, meinen”, sagte Alice. „Ich habe ihn verloren.” – „Du kannst deinen Weg nicht verlieren. Du befindest sich ja darauf.” – „Ich weiß aber nicht, wo ich hingehöre.” – „Hast du das denn je gewusst, Alice?”

Hatters Stimme war schneidend, scharf wie ein Messer. „Was meinst du damit?”, erwiderte Alice, die Finger ineinander verkreuzt, um das Zittern ihrer Hände zu verbergen. Hatter lächelte. „Wieso denkst du eigentlich, irgendwo hingehören zu müssen? Das ist doch… na, verrückt.” Er tippte sich mit seinem knochigen Zeigefinger an die Stirn. „Aber jeder gehört irgendwo hin”, meinte Alice. Hatter schnitt eine Grimasse.

„Hör mal, Alice”, sagte er, „wenn jeder irgendwo hingehören würde, blieben wir dann nicht alle stets am selben Platz? Wäre das nicht schrecklich fade?” Alice runzelte die Stirn. „Worauf willst du hinaus?” – „Ich habe schon vielen verschiedenen Leuten viele verschiedene Hüte gemacht”, schweifte Hatter ab, „große und kleine, bunte und graue. Aber richtig gepasst hat nie einer, und weißt du, warum?” – „Nein…?” – „Weil Menschen dazu gemacht sind, Verschiedenes auszuprobieren. Sonst wissen sie ja nicht, was sie wollen und was nicht.” Er deutete auf Alice. „So wie du.”

© Sandra E. Mae 2022-03-07

Hashtags