von Helen Preidt
Ich wusste, dass er noch hier war.
Ich konnte ihn nicht sehen, nicht hören – aber ich spürte seine Präsenz. So wie man spürt, dass man beobachtet wird. Jede Faser meines Körpers war angespannt. Mein Atem ging stoßweise. Ich durfte keinen Fehler machen. Nicht jetzt.
Der Raum war ein Albtraum aus Glas und glatten Flächen. Zu viele spiegelten, zu viele waren falsch. Jeder Fluchtversuch scheiterte. Immer wieder. Ich suchte nach einem Ausgang, fand keinen. Er hatte mich in die Falle gelockt. Ich war unbewaffnet.
Meine Sinne waren scharf, geschult durch Erfahrung. Ich hörte das kleinste Knacken, roch die Spuren seiner letzten Bewegung. Die Luft war schwer, künstlich. Der Geruch seiner Haut lag darin. Menschlich. Doch er war kein Mensch in meinem Verständnis. Menschen jagen nicht so. Nicht so kalt. Nicht so berechnend.
Ich huschte in eine dunkle Ecke, verharrte. Lauschte. Nichts.
Plötzlich – Bewegung!
Ein dumpfer Schlag. Nah. Sehr nah. Ich war fast entdeckt worden. Ich blieb regungslos, in der Hoffnung, dass ich im Schatten verschwand. Aber ich konnte sein Zögern spüren. Er wusste, dass ich noch hier war. Ein Schweißfilm lag auf meiner Haut. Mein Herz raste. Ich musste raus. Ich hatte zu viele meiner Art sterben sehen. Getroffen. Zerdrückt. Mit einer Präzision, die keinen Zufall vermuten ließ. Er genoss es, das wusste ich.
Dann die Wendung. Ein Knarren. Ein Luftzug.
Er hatte eine Öffnung geschaffen – ob versehentlich oder aus Arroganz, wusste ich nicht. Es war meine einzige Chance. Ich stürmte los. Geradewegs auf den Spalt zu. Hinter mir: Chaos. Er bemerkte es, rief etwas und schlug zu. Ich spürte den Druck seines Angriffs und das Kitzeln des Windes von draußen.
Ein letzter Sprint. Ich war draußen. Licht. Geräusche. Leben.
Ich ließ mich fallen, landete zitternd auf einer warmen Oberfläche. Ich hatte es geschafft. Wieder einmal hatte ich ihn überlebt. Doch ich wusste: Er würde es wieder versuchen. Er war nicht der Erste. Und nicht der Letzte.
Die Menschen nennen es lästig. Ich nenne es Krieg.
Sie halten sich für Jäger. Aber auch ich jage – nach Freiheit, nach dem nächsten Ort, nach einem Schluck Süße irgendwo in der Sonne.
Sie denken, ich sei bedeutungslos.
Aber ich bin überall.
Ich bin die, die du nicht fangen kannst.
Ich bin die, die du nur hörst, wenn ich es will.
Ich bin – die Fliege.
© Helen Preidt 2025-08-24