Als das Taxi in den Dohlenweg einbog, begann Banquet von Bloc Party im Radio. Georg zeigte auf das zweite Haus rechts, „da“, und holte sein Handy raus.
– A heart of stone, a smoking gun, I’m working it out –
Ihm fiel ein, dass der Akku seines Handys ja leer war. Also steckte er es weg, zog die Spesen-Karte aus seinem Portemonnaie und hielt diese vors Lesegerät. Er wartete darauf, dass die Zahlung bestätigt wurde und schob sie wieder zurück in die Brieftasche. Bevor er ausstieg, checkte er noch einmal Jackett- und Hosentaschen. Handy und Portemonnaie waren da, der Schlüsselbund fehlte nach wie vor. Er öffnete die Beifahrertür, stieg aus
– Turning away from the light, becoming adult, turning―
und warf sie hinter sich zu. Nun stand er vor dem Haus, welches er vor ein paar Jahren von seiner Tante geerbt hatte, ein altes Sommerhaus aus den Zwanziger- oder Dreißigerjahren – so genau wusste er das nicht mehr – welches damals noch jenseits des Stadtrands gebaut worden war. Inzwischen war ein Wohngebiet aus kleinen, weiß-grauen Musterhäusern um die ehemalige Allee gebaut worden. Von den alten Linden am Dohlenweg war kaum noch eine übrig. Pferdeweiden und Felder gab es gar keine mehr. Aber das kannte Georg auch nur von alten Fotos. Schon vor seiner Geburt hatte man damit begonnen, links und rechts der Straße zu bauen. In den Nullern dann waren die Brachflächen nördlich, in den letzten zehn Jahren die Brachflächen südlich der alten Bebauung erschlossen worden. Nun gab es außer dem Dohlenweg noch den Finkenweg, den Amselsteig, den Meisenweg und so weiter. Sein Sohn und seine Tochter profitierten von dieser Entwicklung. Es war auch ein Spielplatz gebaut worden und viele andere Kinder lebten in der Nachbarschaft. Georg selbst hatte es in seiner Jugend zwar geliebt, über die Wiese südlich vom Haus bis zum Mühlenbach zu streifen, wenn er und seine Eltern seine Tante besucht hatten. Er hatte sich jedoch immer auch ein wenig einsam gefühlt, da es damals kaum Kinder in der Straße gegeben hatte.
Er schaute auf das kleine ovale Fenster neben dem Eingangsportal. In die Sandsteinplatten, die es umrahmten, waren Blumenranken eingemeißelt. Das hatte er schon als Kind gemocht. Das Fenster schien warm und gelb nach draußen. Wahrscheinlich hatte Lea vergessen das Licht auszumachen. Das passierte oft, nachdem sie auf Toilette war. Georg machte ein paar zögernde Schritte auf die Tür zu. Das Taxi war längst abgefahren. Die Straße lag ruhig und dunkel. Es war spät.
© Gregor Kieselbach 2024-04-26