Der Kampf mit dem Selbstoptimierungswahn

Alexander Heller

von Alexander Heller

Story
München 2024

Ich starre auf mein Smartphone und frage mich, ob die App sich einen schlechten Scherz mit mir erlaubt. „Du hast heute erst 2.347 Schritte gemacht“, blinkt es mir vorwurfsvoll entgegen. Dabei bin ich mir sicher, dass ich mindestens dreimal um den Block gelaufen bin – na gut, vielleicht waren es auch nur zweimal, und beim zweiten Mal habe ich eine Abkürzung genommen. Aber trotzdem!

Meine neue Fitness-App ist wie eine überfürsorgliche Großmutter, die einen ständig ermahnt, mehr Gemüse zu essen. Nur dass Oma wenigstens noch Hausmannskost als Alternative anbietet. Die App kennt nur Quinoa-Bowls und Chiasamen-Smoothies. „Zeit für deine Meditation!“, meldet sich eine weitere App. Ich atme tief durch und versuche, inneren Frieden zu finden. „Denk an nichts“, säuselt die sanfte Stimme aus dem Smartphone. Natürlich denke ich sofort an alles: die überfällige Steuererklärung, den Berg ungebügelter Wäsche und die Tatsache, dass ich vergessen habe, Klopapier zu kaufen.

Während ich versuche, meinen Geist zu leeren, vibriert das Handy erneut. „Trink mehr Wasser!“ Ich rolle mit den Augen. Wenn ich all das Wasser trinken würde, das diese App mir vorschreibt, müsste ich mir eine Bootslizenz besorgen. Früher war das Leben einfacher. Da musste man sich nur Sorgen machen, ob man genug Sport macht oder zu viel isst. Heute muss man seinen Schlaf tracken, seine Schritte zählen, seine Meditation optimieren und nebenbei noch seinen CO₂-Fußabdruck im Blick behalten.

Ich schaue auf die Uhrzeit: 22:17 Uhr. Meine Schlaf-App wird mich gleich ermahnen, dass ich meinen optimalen Schlafzyklus verpasse. Seufzend schalte ich das Handy aus. Vielleicht sollte ich eine App entwickeln, die mir sagt, wann ich aufhören soll, auf Apps zu hören. Aber wahrscheinlich gibt es die schon – ich müsste nur kurz danach suchen…

Am nächsten Morgen wache ich auf und greife instinktiv nach meinem Handy. Keine Benachrichtigungen. Kein passiv-aggressives „Guten Morgen, du hast deinen Schlafrhythmus um 47 Minuten verfehlt!“ Stattdessen genieße ich in aller Ruhe meinen ersten Kaffee. Ohne dass mir eine App vorrechnet, wie viele Antioxidantien ich stattdessen mit einem grünen Tee zu mir nehmen könnte. Während ich am Fenster stehe und den Vögeln beim Zwitschern zuhöre, wird mir klar:

Manchmal ist die beste Form der Selbstoptimierung, einfach mal nicht zu optimieren. Ich lösche die Fitness-App – und fühle mich sofort drei Kilo leichter. Zumindest bis meine Waage-App mir später das Gegenteil beweisen wird.


© Alexander Heller 2024-10-04

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Humor& Satire
Stimmung
Emotional, Komisch, Inspirierend
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