von Jörg Gschaider
Ein Naturerlebnispark namens „Keltendorf“ hatte in Hohentauern eröffnet. Man konnte entlang eines Baches wandern, dabei an allerhand Seilkonstruktionen seine Geschicklichkeit erproben, eine altertümliche Miene erforschen, in einem Teich Fische füttern, mit dem Floss auf einem See paddeln, barfuß verschiedenste Untergründe erfühlen, insgesamt also so einige Abenteuer erleben. Ein tolles Ausflugsziel für die ganze Familie.
Am Eingang zum Park gab es einen Kiosk, an dem man unter anderem auch Namensbänder in keltischer Schrift anfertigen lassen konnte.
„Sei so gut und mach uns für jeden eins. Wir sehen uns derweil den Park an und wenn wir zurückkommen, holen wir sie ab.“
Nach einigen vergnüglichen Stunden waren wir zum Kiosk zurückgekehrt, die Bänder jedoch nicht fertig. „Das geht nicht so einfach“, erklärte uns der seltsame Kioskbesitzer lächelnd. Schneeweißes, langes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ich konnte seine stahlblauen, blitzenden Augen, aus einem sonnengegerbten Gesicht auf mir oder besser gesagt in mir fühlen. Er schien mich zu durchleuchten.
Wir nahmen auf der Terrasse Platz, einem stilgerechten Pfahlbau am See und bestellen Getränke. Mit der Bestellung brachte der Wirt einen kleinen Stoffbeutel und einen Flyer.
„Im Säckchen sind Runen“, erklärte er. „Ihr müsst Eure Namen ziehen. Geht in Euch und passt gut auf, denn Runen haben Kraft. Bedenkt, dass selbst die Pyramiden über Jahrtausende nur von Hieroglyphen geschützt worden sind.“
Reih um zogen wir also unsere Namen und sahen im Flyer nach, was sie denn bedeuteten. Die Verblüffung war groß, als wir feststellten, dass wir allesamt die richtigen Namen gezogen hatten, die Runen jeden von uns persönlich trafen. Auch – und sogar die Kinder!
„Das ist ganz normal“, befand der Wirt. „Die Runen haben Euch gefunden, nicht umgekehrt.“ Es folgte ein Small Talk über Kräfte, die zwar wirken, wir aber nicht wahrnehmen können. Das Gespräch gipfelte schließlich darin, dass ich von einem Traum erzählte, in dem ich an ein Tor geraten war und die Wahl hatte, es zu öffnen, um in eine andere Welt zu gelangen.
„Zum Glück bin ich nicht hineingegangen“, schloss ich meine Erzählung.
„Du hast eine Chance verpasst, die man nur einmal bekommt“, entgegnete der Weißhaarige mit dem gegerbten Gesicht und seinen stahlblauen, blitzenden Augen. Er schien den Traum zu kennen und zu wissen, wovon ich erzählt hatte und wovon er sprach.
„Ich wäre womöglich verrückt geworden“, gab ich zu bedenken.
„Verrückt? Verrückt werden, was heißt das schon? Die Geister hätten auf Dich aufgepasst!“
Manchmal, an besonders belebten Plätzen oder etwa in U-Bahnen, stell ich mir vor, dass ich von lauter Geistern umgeben bin, die allesamt vorgeben, den rechten Weg zu wissen. Und das Eigenartigste daran ist: Manchen ist es sogar anzusehen!
Bildquelle: Pixabay/thaisun
© Jörg Gschaider 2021-06-17