Der Killerwal

Mikayla Weiland

von Mikayla Weiland

Story

Wenn meine Reisen mich in neue Küstenstädte führen, höre ich immer wieder den Tipp, einen Themenpark zu besuchen, in dem Meerestiere wie Haie und Wale zu sehen sind. In diesen Momenten erinnere ich mich an die Geschichte eines ganz bestimmten Orcas.

Gebannt starrten die Besucher mit geweiteten Augen in das glitzernde Becken. Plötzlich durchbrach eine majestätische Silhouette die Wasseroberfläche – Tilikum, der tonnenschwere Orca, schien für einen flüchtigen Moment in der Luft zu schweben, bevor er mit einem gewaltigen Platschen auf dem Rücken das Wasser durchbrach. Ein kollektiver Atemzug hielt die Zuschauer gefangen, um dann in kreischendem und jubelndem Entzücken zu explodieren.

Die Trainerin breitete ihre Arme aus und lächelte siegessicher. Auch diese Vorführung würde für ein begeistertes Publikum und für zahlreiche Einnahmen sorgen.

Doch hinter dem Glanz der Show lag eine schmerzhafte Realität. Seit vielen Jahren war Tilikum die Hauptattraktion des Parks. Sein Gefängnis war ein Becken, das dem Ozean, in dem er einst lebte, in keiner Weise gerecht wurde. Sein ursprüngliches Zuhause war erfüllt von Leben, Schönheit und grenzenloser Freiheit. Doch diese Freiheit wurde ihm und vielen anderen wilden Tieren für immer genommen.

Anstatt in den Weiten des Ozeans zu schwimmen, musste Tilikum in einem winzigen Becken Kunststücke erlernen und sie vor einem Publikum aufführen. Statt selbst zu jagen, bekam er tote Fische gereicht, und anstelle von kilometerweiten Strecken schwamm er in endlosen Kreisen. Er funktionierte nur noch, anstatt zu leben.

In dieser endlosen Routine vergingen die Jahre, doch das eintönige Plätschern des künstlichen Wassers konnte niemals das Rauschen des Ozeans ersetzen.

Jahre später, als die Sonne über dem Themenpark langsam unterging, verbreitete sich die traurige Nachricht: Tilikum war tot. In den vergangenen Jahren hatte der berühmte Killerwal drei Menschen getötet. Nun beendete eine schwere Infektion auch das Leben des 36-jährigen Meeresbewohners.

34 lange Jahre verbrachte er in einem künstlichen Gefängnis, 34 lange Jahre hatte er die unendlichen Weiten des Ozeans nicht mehr gesehen. In der Freiheit hätte er bis zu 80 Jahre alt werden können. Er wäre jeden Tag bis zu 67 Kilometer durch die Tiefen des Meeres geschwommen, die sein wirkliches Zuhause waren.

© Mikayla Weiland 2022-07-28

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