Der kleine Regentropfen

Stefan

von Stefan

Story

Heute ist das erste Mal, dass ich von der Wolke hüpfen darf. Immer schon habe ich die anderen Regentropfen darum beneidet, aber meine Eltern meinten, ich wäre noch zu klein. Ich armer Tropf musste ganz schön lange warten. Aber jetzt ist es endlich so weit.

Mein Name ist übrigens Platsch. Das mag lustig klingen, aber dahinter steckt eine größere Geschichte. Mein Vater hieß bereits Platsch, genauso wie sein Vater zuvor. Von Generation zu Generation wurde der Name Platsch seit Jahrhunderten voller Stolz weitergegeben, zurückgehend bis zu meinem Ururur…..urgroßvater. Sein Name war Hubert. Hubert gelang damals das Undenkbare. Er hatte als Obertropf mit seiner Tropfschar einen derart großen Tropfen geschaffen, dass beim Aufschlag für einen kurzen Moment auf der ganzen Welt nichts mehr zu hören war, außer „Platsch!“. Von dem Moment an hatten ihn alle nur noch Platsch genannt. Monatelang feierten die Tropfen dieses Ereignis, in der Euphorie schien alles um sie herum vergessen. Das war, nur so nebenbei bemerkt, auch der Grund für die große Dürre Mitteleuropas im Jahr 1540.

Zusammen mit den anderen Tropfen stehe ich nun am Rand der Wolke. Ein paar Teenie-Tropfen wetten, wer den besseren Sprung macht. Vorwärtssalto, Rückwärtssalto, Schraube, in viele kleine Tropfen teilen, alle Varianten sind dabei. Die alten Tropfen schlurfen gemächlich Richtung Rand und wie ich da so stehe, wird mir erst bewusst, wie weit es hinab geht.

Ein bisschen Angst macht mir das schon, aber ein Tropfen muss mutig sein, sich bis zum Aufprall nichts anmerken lassen. Der Aufprall. Ob er wohl weh tun wird? Mein Vater meinte immer, man muss nur aufpassen, dass man möglichst viel Angriffsfläche erzeugt, dann verteilt sich das schon.

Heute scheint alles eher ruhig zu sein, die Stimmung ist zum Glück sehr angenehm. Es gibt Tage, da herrscht absoluter Unfriede. Die Tropfen platzen regelrecht vor Aufregung. Daher auch die Bezeichnung Platzregen. Wenn die Tropfen vollkommen unkoordiniert und ohne Plan einfach hinunter prasseln.

Die ersten Tropfen springen vom Wolkenrand hinunter. Ein paar der Jugendlichen drängeln sich vor, weil sie gewettet haben, wer als Erster unten landet. Nun bin ich an der Reihe. Es bilden sich Wellen auf meinem Körper, so sehr zittere ich vor Nervosität.

Wo ich wohl landen werde? Auf einem grantigen alten Mann, der genauso vom Regen, wie von allem anderen in seinem Leben einfach nur genervt ist? Vielleicht auf die Stirn eines kleinen Mädchens, das lachend in den Pfützen herumspringt, während ihre Mutter schon zum fünften Mal sagt, sie soll in’s Haus kommen, weil sie sich sonst noch verkühlen wird? Ein Hund, der mich weiterkatapultiert, wenn er sich die Nässe vom Fell schüttelt?

Ich springe.

© Stefan 2023-02-06

Genres
Humor& Satire
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