von Bernhard Fellner
Auf meinem Schreibtisch steht ein kleiner Waschbär. Ich habe ihn aus einer Weihnachts-Lieferung von Schleich-Tieren für meine Enkel abgezweigt. Er war das Tier meiner Wahl. Zur weiteren Auswahl hätte es noch ein Kamel, ein Nilpferd, einen Wolf oder einen Delphin und andere gegeben.
Warum der Waschbär? Er ist der größte Vertreter der Familie der Kleinbären. Er ist sehr anpassungsfähig und er hat ein gutes Gedächtnis. In seinem Fall soll er allerdings meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Damit ich nicht auf seine baldige Ankunft vergesse.
Ich selbst zähle mich zur Familie der mittelgroßen Bären: Und dies auch nur deshalb, weil ich Ber-nhard heiße. Ich bin auch ein – vorsichtig ausgedrückt – mittelalterlicher Bär. Meine besten Bärenzeiten sind sicherlich vorbei. Umso mehr erfreut mich der kleine Waschbär auf meinem Schreibtisch.
Der kleine Waschbär ist flankiert von einer Uhr, einem Kalender und meinem kleinen Büchlein mit dem Titel “Hör nie auf zu träumen!”
“Hör nie auf zu träumen!” – dieser Appell hat sich auch für mich als richtig und zielführend herausgestellt. Nie hatte ich aufgehört, von einem “kleinen Waschbären” im fernen Neuseeland zu träumen.
Dort wohnt nämlich seit einigen Jahren eine sehr liebe Bärenfamilie, bestehend aus meinem ältesten Sohn und meiner Schwiegertochter. Neuseeland ist ein schönes, ein wunderschönes Land. Es gibt schneebedeckte Berge, geheimnisvolle Fjorde und wundersame Urwälder.
Aufgrund des Inselstatus hat es auch ursprünglich keine Säugetiere in Neuseeland gegeben. Auch keine Waschbären.
Und das mit dem “kleinen Waschbären” kam so: am Morgen des 24. Dezember trabte ich schlaftrunken zum angesagten Familien-Skypen der daheimgebliebenen Familienmitglieder mit Neuseeland. Nichts ahnend von großartigen Eröffnungen verfolgte ich das gegenseitige Weihnachts-Geschnatter.
Doch dann das: Das neuseeländische Paar verkündete, dass sie im April Nachwuchs erwarteten. Mich haute es – wie man so schön sagt – buchstäblich vom Stockerl. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schnell bastelte ich ein HURRAH-Schild, das ich ungelenk vor dem Bildschirm schwenkte.
Ich war total glücklich. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Und damit ich immer an die Stunde dieses Glücks erinnert wurde, habe ich mir den kleinen Waschbären ausgedacht. Er ist ein Symbol für mich. Das Symbol für die Freude eines mittelgroßen, mittelalterlichen Bären, wenn ihm das Kommen eines Nachwuchses, eines Enkelkindes angekündigt wird.
Natürlich ist der kleine Waschbär nur ein Symbol. Ein Symbol für einen wackeren kleinen Neuseeländer mit Wurzeln fern dieser wunderbaren ozeanischen Insel.
Er ist ein Symbol für die Freude, für die Vorfreude auf seine glückliche Ankunft im Frühling.
Bis dahin wird er meine Schreibtischuhr bewachen und meinen Kalender, auf den ich ungeduldig blicken werde. In Wirklichkeit steht er ja nicht da am Schreibtisch vor mir, sondern er ist schon jetzt ganz fest in meinem Herzen verankert.
© Bernhard Fellner 2021-01-01