von Petra Baumann
Endlich klingelt die Schulglocke, ich werfe mein Federmäppchen in meine Schultasche und steh auf. Im Türrahmen wartet bereits Wolfgang auf mich, er lächelt, denn es ist Donnerstag. Wir laufen in die Garderobe, ziehen uns warm an und verlassen das Schulgebäude durch die dunkelgrüne Schwingtür. Es nieselt. Niemand weiß von unserem Vorhaben, nur wir beide, das haben wir uns geschworen. Wir biegen links in die kleine Gasse ab, um keinen Verdacht zu schöpfen. Wir setzten uns ganz kurz auf die grüne Bank vor der Bäckerei, machen doofen Witze und warten ab, bis alle an uns vorbeigehen. Wir sehen Anna und Helene, zum Glück gehen sie schnell an uns vorbei. Wir bleiben noch ein paar Minuten auf der Bank sitzen, damit die beiden nicht bemerken, wo wir hingehen werden. Zuerst steht Wolfgang auf, dann ich, wir schauen nach links und rechts und laufen blitzschnell zur Kirche. In so einem kleinen Dorf ist es schwierig, anonym zu bleiben. Wolfgang sieht sich nochmals um und wir rennen zum Hügel, auf dem die Kirche steht. Doch die Kirche ist nicht unser Ziel, sondern der Karner. Darin werden die Verstorbenen aufgebart. Die Eingangstür ist wie immer verschlossen, aber diesen Raum wollen wir nicht betreten. Wir gehen rechts um das Gebäude herum und bleiben an der Stelle stehen, wo früher einmal ein Fenster gewesen ist. Heute bin ich als erster dran. Ich drehe mich auf den Bauch, stütze meine Hände ab und versuche mit den Beinen voran in den Raum, der sich darunter befindet, zu gelangen. Natürlich kann ich noch nicht viel erkennen, weil es stockdunkel ist. Nun ist auch Wolfgang hier unten angekommen und wir knipsen unsere Taschenlampen an. Überall sind verschiedene Arten von Knochen zu sehen. Mitten im Raum befindet sich ein großer Haufen von durcheinandergeratenen Knochen aller Art. Ich kann verschiedene Schädel erkennen, ganz lange Knochen und daneben etwas kleinere, eckige. Wir versuchen, das Chaos in der Mitte so gut wie möglich zu ordnen, denn wir brauchen hier unten mehr Platz. Ich greife zuerst nach den Totenköpfen und staple sie zu den anderen, Wolfgang nimmt die kleineren, dünnen Knochen. Es dauert eine Weile, bis das Chaos, das wir das letzte Mal gemacht haben, wieder beseitigt haben. Erst jetzt beginnt unser wirkliches Vorhaben. Mein Freund greift nach einem Schädel und die Show kann beginnen. Ziemlich heftig wirft er ihn in die Luft und holt mit dem rechten Bein aus und kickt ihn gekonnt zu mir. Nun bin ich dran und trete so fest ich kann zu. Der Schädel landet auf dem Stapel der eckigen Knochen, wieder ist das Chaos perfekt. Wir lachen laut auf. Einige Male werfen wir uns den Schädel gegenseitig zu. Plötzlich hören wir eine Stimme von oben. Wir schweigen, stellen uns unter die Lucke und rühren uns nicht mehr. Wieder hören wir etwas, trotzdem bewegen wir uns nicht. Nun beschließen wir, aus unserer Höhle zu steigen. Als ich oben angekommen bin, will ich loslaufen. Doch wir sitzen in der Falle, unser Pfarrer steht mit erhobenem Zeigefinger vor uns.
© Petra Baumann 2022-03-18