Der Komparse

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story
Wien 2023

Im November 2023 hatte ich das seltene Glück, bei einer neuen deutschen Kinofilmproduktion in Wien vor der Kamera zu stehen. Mein Sohn machte mich auf ein Casting aufmerksam, bei dem ein Mann, Spielalter 40-60 mit österreichischer Sprachfärbung, gesucht wurde. Es ging um einen historischen Film, der im Jahre 2000 spielt. Im Mittelpunkt steht die Selbstsuche einer Frau namens Wilma, deren innere wie äußere Reise zu einem neuen „Ich“ erzählt wird. Zum Inhalt: Nach der Wende wird ein Kraftwerk der Lausitzer Braunkohleregion abgeschaltet. Als Wilma (Fritzi Haberlandt) entlassen und noch dazu von ihrem Mann betrogen wird, macht sie sich kurzerhand auf nach Wien. Sie will herausfinden, wo sie steht, wer sie ist, was sie will. In einer WG lernt sie das links orientierte Wien kennen und trifft Anatol, der sie inspiriert und verführt. Trotz der vielen neuen Impulse spürt Wilma den Ruf der Heimat und fährt wieder in die ehemalige DDR. Sie beginnt ein neues Leben.

Ich meldete mich per E-Mail und am nächsten Morgen entschied sich die Regisseurin spontan für mich. Ich sollte einen leicht beleidigten Mann spielen, der es nicht leiden kann, auf der Straße nach dem Weg gefragt zu werden. Ich sollte schmatzende Mundbewegungen machen, welche Wilma plötzlich erschrecken und mich amüsieren sollten. Wir sprachen über den Text, der mir sehr geschwollen Deutsch erschien. Ich wollte ihn ändern: „zum Naschmarkt? Nah dran und doch net dabei“, hatte ich grinsend zu antworten. „Ich zeig’ dir aber gern noch bessere Orte zum Naschen… wennst auch an Groschen hast.“ Dann sollte Wilma die Flucht ergreifen. Eine nette Story dachte ich. Ich musste alle meine Rechte als Komparse an die Produktionsfirma einräumen. Dann durfte ich das Filmteam nachts bei Eiseskälte vor der Staatsoper treffen. Einige Scheinwerfer wurden platziert und schon ging das Filmen los. Zuerst sollte ich den gesamten Text sagen, was mir aber schwerfiel, denn ich konnte nicht so reden wie mir der Schnabel gewachsen war und das merkte die Regisseurin. Sie verkürzte den Text und konzentrierte sich eher auf meinen Ausdruck im Gesicht und mein Interagieren mit der Hauptdarstellerin. Mehrmals musste ich die Szene vor laufender Kamera wiederholen, zuerst in der Totalaufnahme mit Oper im Hintergrund, dann wir zusammen jeder von vorne und zuletzt beide in Nahaufnahme nur mit Fokus auf das Gesicht. Du machst zu viel Ausdruck im Gesicht, sagte sie zu mir. Ich sollte nicht übertreiben, aber dafür so sein, als wäre ich high, irgendwie angeduselt und ein wenig crazy. Das gefiel mir, denn ich merkte, wie wandelbar mein Gesicht sein konnte. Wired, so wie die Wiener halt sind, sollte ich sein. Etwas überdrüber, zwar charmant, aber eigentlich auch abweisend. Ich wusste, das konnte ich, denn so wirke ich eigentlich oft – abweisend. Je weniger Text ich zu sprechen hatte, umso besser war ich. Ich fror schon sehr, ließ es mir aber nicht anmerken. Nach nur einem weiteren Take hatten wir die Szene im Kasten. Ok, die Regisseurin wirkte zufrieden. Der Regieassistent gab mir noch ein kleines Honorar und wir verabschiedeten uns herzlich. Wenn der Film nicht in Österreich ins Kino kommen sollte, dann jedenfalls doch auf MDR und Arte. Was wollte ich mehr? Ich hatte etwas Filmluft geschnuppert – und CUT.


© Gunny Catell 2025-02-20

Genres
Biografien
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Inspirierend, Reflektierend, Angespannt
Hashtags