Der Kulturschock

Hermann Karosser

von Hermann Karosser

Story

Der altgediente Chefredakteur des MĂŒhldorfer Anzeiger hatte seine liebe MĂŒh, fĂŒr den Artikel ĂŒber meinen Abschied vom Landratsamt die richtige Schlagzeile zu finden. „Er zieht Waldkraiburg der Regierung vor“, war am Ende herausgekommen, mit dem nur fĂŒr Eingeweihte richtig verstĂ€ndlichen Unterton, dass er eigentlich meinte: „Eine Entscheidung zwischen Teufel und Beelzebub“.

Die Regierung, gemeint ist die Bezirksregierung von Oberbayern, war ihm schon aus SolidaritĂ€t mit seinem Freund, dem Landrat, ein Dorn im Auge; versuchte doch diese Behörde dem Landkreischef immer wieder in die Suppe zu spucken. – Und dann Waldkraiburg, die NachkriegsgrĂŒndung, von FlĂŒchtlingen auf den Resten einer Pulverfabrik aufgebaut und jetzt mit 25.000 Einwohnern um ein Viertel grĂ¶ĂŸer als seine geliebte Kreisstadt. Eine fĂŒr den eingefleischten MĂŒhldorfer geradezu traumatische Entwicklung.

FĂŒr mich war es tatsĂ€chlich eine Lebensentscheidung, denn als Staatsdiener konnte ich nicht am Landratsamt bleiben, musste praktisch tĂ€glich mit RĂŒckversetzung nach MĂŒnchen rechnen. Das hĂ€tte mir einerseits alle Möglichkeiten fĂŒr eine Karriere bis hinauf auf Ministeriumsebene eröffnet. „Nicht gerade Beelzebub“, wĂŒrde ich sagen. Andererseits wĂ€re der Preis dafĂŒr das Dasein eines Pendlers nach MĂŒnchen bis zur Pensionierung gewesen.

Da war es nicht unangenehm, dass mich der BĂŒrgermeister der grĂ¶ĂŸten Stadt im Landkreis gerne als Stadtjuristen einstellen wollte, „gezuckert“ mit dem Angebot, ein wenig schneller befördert zu werden als beim Staat.

So entschied ich mich gegen die große Karriere, pendelte dafĂŒr statt 100 Kilometer nur 15 und war direkt neben der Schaltstelle der Stadt, dem BĂŒrgermeister, mit der ganzen Vielfalt einer Kleinstadt betraut. Auch „nicht gerade teuflisch“.

Ein bisschen Kulturschock war es dann doch fĂŒr mich als Niederbayer. Nicht, weil die Stadt halt nicht gewachsen war wie die anderen reizenden Orte am Inn, entstanden in Jahrhunderten mit wunderschönen MarktplĂ€tzen, heimeligen Gassen und dem im Lauf der Geschichte ausgetretenen Pflaster. Nein, weil es ein ganz anderer Menschenschlag ist, Sudetendeutsche, Schlesier, Banater Schwaben, SiebenbĂŒrger Sachsen, Adlergebirgler und wie sie heißen, alle nicht bairisch sprechend. Und jede Gruppe hatte ihre Lobby, im Stadtrat und an den sonstigen Schaltstellen.

Am schlimmsten aber empfand ich die Haltung des Umlands zu Waldkraiburg. Wir waren nicht umgezogen dorthin – was man mir lange Zeit verĂŒbelte, weil man dahinter auch Vorbehalte vermutete –, so bekam ich es aber quasi jeden Tag mit, wenn ich Menschen traf, die ĂŒberhaupt noch nie in der benachbarten Stadt waren, Vorurteile pflegten und alles taten, damit „dieser Fremdkörper“ nicht noch mehr Einfluss gewinnen konnte.

Ganz egoistisch gebe ich zu, ich bin ein Schmarotzer. Ich genieße das Bairische an MĂŒhldorf ebenso wie das Weltoffene von Waldkraiburg und damit bin ich immer sehr gut gefahren.

© Hermann Karosser 2020-11-21

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