Das Interview mit der belgischen Bestsellerautorin Amélie Nothomb will mir nicht aus dem Kopf gehen. Vor Jahren habe ich ein oder zwei Romane von ihr gelesen, muss aber gestehen, dass ich mich weder an Titel noch Inhalt erinnere. Doch der Name begegnet einem immer wieder auf Bestsellerlisten und in Auslagen von Buchhandlungen, also muss es wohl Qualitäten geben, für die ich kein Ohr habe. Jetzt hat sie aber auf andere Weise meine Aufmerksamkeit erlangt.
Amélie Nothomb ist eine Dauer- und Vielschreiberin. Sie schreibt nach eigener Aussage täglich, offenbar mehrere Stunden lang. Infolgedessen hat sie bisher über 100 Romane verfasst, aber nur ca. 30 davon veröffentlicht, da sie die anderen für nicht gut genug befand.
Das allein ist schon bemerkenswert, denn die meisten Autoren würden der Versuchung erliegen, auch weniger gute Bücher zu publizieren, weil einem Autor ab einem gewissen Bekanntheitsgrad so ziemlich alles abgenommen wird, denn viele kaufen einfach nach Namen und Bekanntheit. Streng sind meist nur die Kritiker, die Leser hingegen schätzen ihre Lieblingsautoren trotzdem, und außerdem liegt nicht nur Schönheit, sondern oft auch die Qualität im Auge des Betrachters.
Weitaus bemerkenswerter ist aber, dass die Autorin diese “schlechteren” Romane nicht vernichten will, weil es doch ihre Werke und somit irgendwie auch ihre Kinder sind, sondern plant sie in einen Kunstharzblock eingießen zu lassen, wie eine Fliege in Bernstein, um sie für immer unzugänglich machen. Unklar blieb mir, ob sie das noch vor ihrem Tod durchführen lassen will oder ob es per testamentarischer Verfügung geschehen soll.
Testamentarische Verfügungen dieser Art sind allerdings immer riskant, denn man bedenke nur, dass Kafka seinem Freund Max Brod seine Manuskripte mit der Auflage hinterließ, diese zu vernichten. Brod tat das nicht, sondern veröffentlichte sie, sonst hätten wir kaum ein Werk von Kafka, der zu Lebzeiten nur sehr wenig publizierte.
Was also bezweckt Amélie Nothomb mit so einer, zugegebenermaßen interessanten und eigenwilligen Idee? Denkt sie vielleicht, dass irgendjemand sich später einmal die Mühe machen wird, die Blätter aus dem Kunstharzblock herauszukratzen, um sie zumindest lesen zu können? Soll der Block so durchsichtig sein, dass man die Manuskripte sehen und eventuell sogar ein wenig davon entziffern kann? Ich halte es für eine besonders raffinierte Spielart der Eitelkeit, Spannung zu erzeugen, die aber kaum gelöst werden kann. Wo der Block gelagert oder eventuell ausgestellt werden könnte, wäre auch noch zu klären. Fragen über Fragen!
Mich beschäftigt das, weil ich selbst auch darüber nachdenke, was ich mit meinen Storys einmal machen soll. Einfach hier stehen lassen? Ausdrucken und aufheben? Meinem Sohn vererben? Löschen?
Oder anonym in einen Kunstharzblock eingießen? Okay, das geht nicht mehr, denn die Idee ist leider schon vergeben. Aber mir wird schon noch irgendetwas Originelles einfallen.
© 2022-07-07