von MISERANDVS
Waren es gestern noch ihre schönen Füße, die ich so schmerzlich vermisse, fehlen mir heut Lydias Hände so sehr. Von jenem Augenblick an, in dem sich unser beider Hände in dem versifften Taxi zum ersten Mal berührten, war uns beiden klar, dass Hände allein dazu gemacht sind, Zärtlichkeit zu schenken auf jede nur erdenkliche Art und Weise. Hundertmal am Tag berührten wir einander, strichen einander in einer kleinen Geste über den Körper, manchmal nur im Vorübergehen, und es fühlte sich an, wie eine volle Umarmung. Wie oft fassten wir einander an den Händen, schoben die Finger zärtlich ineinander, zogen uns langsam zueinander und hielten wie schüchterne Teenager Händchen, während sich unsere Stirnen aneinanderpressten und wir uns leise erzählten, wie schön es wäre, dass wir einander gefunden hatten. Und wir schauten dabei auf unsere ineinander verflochtenen Hände, die zärtlich miteinander spielten, als beobachteten wir da heimlich ein Paar, das sich zärtlich liebte.
Immer, wenn Lydia mich küsste, legte sie dabei ihre Hand an meine Wange, und sie strich, ehe sie mich von ihren Lippen kosten ließ, mit dem Daumen über meine Lippen, die sich reflexartig spitzten und schon der Däumchen-Kuss war uns beiden Lust. Ich hingegen legte meine Hand an ihren Hals, die Finger am Haaransatz in ihrem Nacken, den Daumen vorm Ohr an der Wange. Lydia drückte ihren Nacken leidenschaftlich in meine riesige Hand, und ich zog sie sanft an mich, ehe ich sie küsste.
Unsere Hände waren neugierige Kundschafter, sanfte Vorboten leidenschaftlicher Küsse. Berührung war immer etwas Sanftes, höchst Intimes zwischen uns. Selbst die kleinsten Berührungen zelebrierten wir, genossen wir, erlebten wir mit allen Sinnen. Doch die allerintimsten Berührungen waren jene, mit denen wir einander im Gesicht berührten. Lydia mit meinen derben Pfoten im Gesicht zu berühren, war etwas Heiliges für mich.
Wenn sie mir ihre schönen, warmen, sanften Hände manchmal an beide Wangen legte, war es, als schlüge mir krachend ein Blitz ins Gehirn und brachte alle tobenden Gedanken augenblicklich zum Stehen. Ich schloss die Augen, holte tief Luft, atmete ihre Wärme und ihren Duft tief in mich ein. Dieser liebevolle, filigrane Mensch, der mich riesigen unkaputtbaren Bären wie eine zerbrechliche Camei berührte, schenkte mir tiefe Frieden und Sanftmut.
Wie gern ich ihre Hände küsste! Wie sinnbetörend sich ihre Handflächen anfühlten, wenn ich meine Lippen in sie drückte! Wie weich und warm und süß die Haut in ihren Händen schmeckte! Und wie sie mich ansah, wenn ich ihre Hände lippenschmachtend liebkoste und dabei leicht die Lippen öffnete und ein leises, sinnliches “Aah!” von sich gab, als versetzten meine Hände-Küsse sie in Lust!
Mir fehlen ihre Hände heut besonders. So schließ‘ ich die Augen, und ich fühl sie in meinem Gesicht, wie sie mir Frieden schenken, wie sie mir intimste Liebe sind.
© MISERANDVS 2021-07-14