von Alexander Heller
Es war ein typischer Morgen. Der Wecker klingelte unerbittlich, und mein erster Gedanke galt dem Kaffee. Ohne dieses schwarze Elixier war ich nicht bereit, der Welt zu begegnen. Kein Blick auf die Nachrichten, keine E-Mails, nicht einmal der Gang zur Tür, um die Zeitung zu holen – alles hing davon ab, wann ich den ersten Schluck Koffein in mein System bekam. Schlaftrunken schleppte ich mich in die Küche, wo die Kaffeemaschine schon auf mich wartete. Ein treuer Freund in dieser Welt der Hektik und Unruhe. Der Duft von frisch gemahlenen Bohnen erfüllte den Raum, und ich konnte spüren, wie mein Geist allmählich erwachte, noch bevor der erste Tropfen den Becher berührte. Ich drückte auf den Knopf, und mit einem sanften Surren begann die Maschine ihre Arbeit. Es war ein beruhigendes Geräusch, fast wie ein Ritual. In diesen Momenten schien die Welt kurz stillzustehen. Der Kaffee floss langsam in die Tasse, und ich stand da, wie ein Gärtner, der geduldig eine Blume wachsen sieht. Als der Becher endlich voll war, nahm ich ihn in die Hand. Er war warm, beruhigend, fast wie ein Versprechen, dass dieser Tag – egal was kommen mochte – zumindest für diesen Moment in Ordnung sein würde. Ich setzte mich an den Tisch, hob den Becher an die Lippen und nahm den ersten Schluck.
Perfekt. Nicht zu heiß, nicht zu stark, genau richtig. Es war, als ob mit jedem Schluck ein Stück von mir aus dem Nebel des Morgens zurückkam. Der Kaffee durchströmte meinen Körper, weckte meine Sinne und machte aus einem müden, unmotivierten Menschen einen zumindest halbwegs funktionierenden Teil der Gesellschaft. Doch wie das Leben so spielt, sind die besten Dinge im Leben oft viel zu kurz. Auch dieser Becher Kaffee neigte sich dem Ende zu. Ich war bei meinem letzten Schluck angekommen. Und hier begann das Dilemma.
Der letzte Schluck ist immer ein Glücksspiel. Man weiß nie genau, was einen erwartet. Manchmal ist er genauso gut wie der erste, manchmal aber auch bitter und unangenehm. Es ist, als ob sich der gesamte Charakter des Kaffees in diesem kleinen Restbecher neu formiert und eine Entscheidung trifft: Wird er dir den Tag versüßen oder dich enttäuschen?
Ich hob die Tasse an, zögerte einen Moment und nahm den letzten Schluck: Bitter. Natürlich.
Es war, als hätte der Kaffee beschlossen, mir zum Abschied noch einen kleinen Streich zu spielen. Ein Hauch von Kälte, eine Spur zu viel Stärke, und der magische Moment des Morgens war dahin. Der letzte Schluck war nie auf meiner Seite. Ich sah in den leeren Becher und dachte kurz daran, einen neuen Kaffee zu machen. Doch ich wusste, dass es nicht dasselbe wäre. Der erste Kaffee des Tages hat eine Macht, die kein zweiter Kaffee jemals erreichen kann. Ein zweiter Versuch würde nur enttäuschen. Mit einem resignierten Seufzer stellte ich die Tasse in die Spüle. Es war Zeit, dem Tag zu begegnen. Vielleicht würde der nächste Becher später besser sein. Aber für den Moment hatte ich meine Dosis Koffein erhalten – und mit ihr die Erkenntnis, dass auch die besten Dinge manchmal ein bitteres Ende haben.
Ich ging zur Tür, bereit, mich der Welt zu stellen. „Bis morgen“, flüsterte ich der Kaffeemaschine zu und lächelte.
© Alexander Heller 2024-10-05