Der letzte Tag

Mariefu

von Mariefu

Story

Eine Träne tropft auf die schwarz umrandeten Zeilen der Karte, die ich unversehens in den Händen halte. Der schwarz gedruckte Name treibt mir das Blut schneller durch die Adern, pulsierend, schmerzend. Ungläubig und schwermütig sinke ich auf den hölzernen Küchenstuhl und starre an die blauen Fliesen. Ich schüttele meinen verwirrten Kopf, nochmal und nochmal, so als könnte ich meine Gedanken damit sortieren.

Eine tiefe unfassbare Traurigkeit irrt hinein in die Dunkelheit am Küchentisch. Die Botschaft setzt sich wie ein großer bleischwerer Stein auf meine ohnehin schon endlos sehnsüchtige Seele. In mein Herz gräbt sich das schwärzeste Loch meines Lebens, das nicht zum ersten Mal einen geliebten Menschen verliert- aber nun dich, meinen Geliebten, den einzigen ganz besonderen, meinen Lieblingsmensch.

Du bist tot. Ich weiß in diesem Schreckmoment nicht mehr, als genau das. Wohl aber keimt eine düstere Ahnung auf, was es für mich bedeuten wird. Viele Fragen türmen sich vor meinen zugekniffenen Augen, die Antworten bleiben inhaltlos. Erinnerungen erstürmen jede Zelle meines zitternden Körpers und füllen die kalt rauschenden, angespannten Adern.

Es ist Anfang Oktober, wenige Tage vor dem 5. Geburtstag meines ältesten Sohnes. Du hieltest ihn liebevoll im Arm, als er ein Baby war. In meinem alten Lehnsessel habt ihr beide im Kinderzimmer gesessen und obwohl er immer viel weinte, bei dir war er still. So zufrieden wirkte er, wie ich in deiner Gegenwart glücklich war. Das Bild vergesse ich nie. Wie sehr habe ich mir in diesem Augenblick gewünscht, wir wären eine Familie.

Noch vor einem Monat scheint die Sonne in meinen blühenden Spätsommergarten, als du völlig unerwartet eintrittst und mich schelmisch zwinkernd mit deinen geliebten strahlend-grünen Augen begrüßt. Meine Hände bewegen sich freudig auf deine zu und länger als von anderen gewohnt legst du deine schlanken, wohlgeformten Finger darum. Wärme durchflößt meinen ganzen Körper. Schon viele Jahre erfinden wir beide immer wieder auf kreative Weise verschiedene Gelegenheiten, um uns zu berühren oder unbemerkt liebend anzuschauen. Ich lebe in einem Vakuum der wohl niemals endenden Sehnsucht und du bist verwoben in deiner eigenen Geschichte.

Die September-Sonne scheint wärmend auf uns herab während wir uns wortlos und zärtlich auf ungewisse Zeit voneinander verabschieden. Unsere Hände liegen länger ineinander als man es sonst voneinander gewohnt ist. Eigentlich ist alles wie immer. Eigentlich.

Und nun bist du fort. Diese Endgültigkeit werde ich wohl nie verstehen und meine Liebe wird niemals enden. Die schmerzende Sehnsucht und meine wundervollen Erinnerungen bleiben zurück. Lebendig hüpfen die Bilder in meinem liebenden Herzen.

September im Sonnenschein – unser letzter Tag.

© Mariefu 2019-07-30

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