Der Liebende

Ulrike Puckmayr-Pfeifer

von Ulrike Puckmayr-Pfeifer

Story

Meine Gedanken kreisten immer um sie, um meine schöne anschmiegsame Tanzpartnerin, die ich bei meinem letzten Diskobesuch kennengelernt hatte. Es klingt kitschig, aber ich war in tiefer Liebe für entbrannt. Sie war für mich die Frau meines Lebens. In meinem Kopf spielten sich die schönsten Szenen von Liebe. Sex und trauter Zweisamkeit ab. Mit ihr würde ich glücklich sein, mit ihr an meiner Seite wollte ich durch mein Leben gehen und alle Schwierigkeiten mit der Leichtigkeit eines Liebenden meistern.

Am Samstag wollte ich wieder tanzen gehen. Und sie wieder sehen. Ungeduldig sehnte ich diesen Tag herbei. Ich spürte freudige Erwartung. Aber gleichzeitig mischte sich in meine Glücksgefühle die Angst, sie würde nicht kommen. Das durfte einfach nicht sein. Es würde mich in ein tiefes Loch der Verzweiflung fallen lassen.

Der Samstag kam. Ich fuhr zur Diskothek. Ich betrat das Tanzlokal in ängstlich freudiger Erwartungshaltung. Und da stand sie wieder, die schöne schweigsame Unbekannte, für die mein Herz schlug. Sie lächelte mich geheimnisvoll an, als ich mich auf sie zubewegte.

Und wieder tanzte sie mit mir, noch schöner, noch inniger als beim letzten Mal. Sprachlos kamen wir einander auf der Gefühlsebene näher. Der Abend verlief ähnlich wie bei unserer ersten Begegnung. Fast jeden Tanz tanzten wir. In den kurzen Pausen tranken wir alkoholfreie Getränke und machten mühsam Konversation. Ich wagte nicht, sie zu berühren, obwohl ich es liebend gern getan hätte. Ich hatte den Eindruck, dass auch sie gerne mit mir zusammen war, dass sie meine Gesellschaft genoss. Ob sie auch in mich verliebt war? Ich konnte sie nicht fragen. Ich fühlte mich wie gelähmt, wenn es um das Thema »Liebe« ging.

Der Tanzabend endete. Wir verabschiedeten uns und gingen nach Hause. Ich zu mir. Sie zu sich.

Aber wir sahen uns wieder. Wir tanzten wieder. Immer wieder in dieser vertrauten sprachlosen Harmonie. Viele Abende.

Irgendwann wollte ich Bewegung in diese seltsame Beziehung bringen. Ich fasste mir ein Herz, nahm all‘ meinen Mut zusammen. Ich setzte mich eines Tages zu Hause hin und schrieb ihr einen Brief, besser gesagt einen Liebesbrief. In meiner schönsten Schrift auf dem schönsten Briefpapier, das ich zur Hand hatte. Ich gestand ihr meine Liebe. Ich schrieb ihr, dass sie das einzige Mädchen sei, mit dem ich mir mein Leben vorstellen könne. Den genauen Wortlaut weiß ich heute nicht mehr. Schon möglich, dass meine Wortwahl in meiner jugendlichen Naivität etwas kitschig ausfiel. Ihre Adresse wusste ich. Ich schickte den Brief ab.

Beim nächsten Treffen fragte ich sie, ob sie den Brief erhalten habe. Zu meiner großen Überraschung und Enttäuschung sagte sie NEIN. Das konnte nicht sein. Es war mir unerklärlich. Ich war aufgeregt. Über den Inhalt des Briefes konnte ich mit ihr nicht reden. So tanzten wir wieder den ganzen Abend miteinander. Ich war innerlich unruhig. In mir brannte die Frage nach dem rätselhaft verschwundenen Liebesbrief.

© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2025-04-05

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Hoffnungsvoll, Mysteriös
Hashtags