Der liebestolle 70-Jährige

Bernd Schreiber

von Bernd Schreiber

Story

Gestern hatte er Geburtstag, einen runden, er ist 10 Jahre alt geworden. Das haben wir gebührend gefeiert. Es gab Würstchen, Hühnerherzen und für den Abschluss Käse (siehe Foto). Er hat’s aber nicht so mit Zeremoniellem und genießen. Der Teller war in Sekundenschnelle leer, wir konnten gerade noch die Kerzen auspusten, damit er sich nicht verbrennt und die lagen dann als Einziges kreuz und quer auf dem abgeleckten Teller. Ich glaube, er hat sich auch nicht an die Reihenfolge mit dem Käse zum Schluss gehalten. Bevor jetzt Missverständnisse aufkommen, ich spreche von unserem Hund Bolero.

Man kann runde Geburtstage besonders feiern, muss aber nicht. Bolero feierte nicht, schien seinen Ehrentag regelrecht zu ignorieren, wunderte sich wahrscheinlich zwar über den unerwarteten Luxusschmaus, nahm ihn aber eher en passant auf die Schnelle mit, weil er gleich wieder nach draußen musste. Er nervt seit Tagen und will andauernd raus in den Garten. Während die tollen Tage gerade vorbei sind, hat er gerade seine liebestollen Tage. Schon seit einigen Jahren überkommt es ihn so zwei bis drei Mal pro Jahr, wenn seine Freundin Kira, die einige Grundstücke weiter wohnt, läufig ist. Dann sitzt er stundenlang an unserem Zaun und wartet, ob sie nicht vielleicht draußen vorbeikommt, entweder mit Herrchen oder weil sie einfach ausgebüchst ist. Leider ist Kira vor Kurzem viel zu früh an Krebs verstorben und wir dachten, das wär’s nun gewesen. Weit gefehlt, denn vor drei Tagen wurde er nachts wieder unruhig und wollte raus. Um 3 Uhr! Bei minus 5 Grad! Egal, er setzte sich an den Gartenzaun und wartete anscheinend auf ein weibliches Wesen. Da kann man mal sehen, was das für ein Quatsch ist, dass sich Hund und Herrchen im Laufe der Zeit immer ähnlicher werden, denn sowas wie er mache ich nicht. Er hat zwar in Hundejahren gerechnet gestern mit 70 mit mir gleichgezogen, aber trotzdem weise ich weit von mir, mit solchen Manieren in Verbindung gebracht zu werden. Selbst in besten Sturm- und Drangzeiten habe ich nicht stundenlang am Zaun gestanden und auf eine Affäre gewartet.

Einige meinen, er würde jetzt von weitem auf den Duft einer anderen Hündin reagieren. Um Mädels kennenzulernen, habe ich auch das nicht gemacht, noch nicht mal gekonnt, jedenfalls nicht aus großer Entfernung. Eine weitere Vermutung ist, dass er es am Bellen einer entfernten Schönen erkennt. Okay, ich bin auch schon mal einer engelsgleichen Stimme erlegen, aber die entpuppte sich später als Sirenenklang.

Es tut mir leid, aber Bolero muss da alleine durch, weiter hoffen und harren, wobei es bei ihm wohl besser hieße: hoffen und haaren. Und zugegeben, beim Haaren haben wir inzwischen ein bisschen was Gemeinsames. Noch mehr sind wir beide gleichermaßen Leckerli-affin und lassen uns von Frauchen gerne verwöhnen, jeder natürlich getrennt mit seinen Vorlieben, außer bei gekochten Hühnerherzen, da klaue ich ihm schon mal welche. Lecker.

© Bernd Schreiber 2023-03-04

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