Heute am Morgen blickte ich aus dem Fenster und da sah ich die Sonne leuchten, aber auch einen strahlend blauen Himmel ohne Wolken. Nach einem ausgiebigen Frühstück machten sich mein Mann und ich auf den Weg zum Thaler See und das leuchtende Grün der Wiesen, Büsche und Bäume ließ unsere Herzen höherschlagen. Nach den vielen Regentagen in diesem April und Mai fühlten wir uns wie von der Sonne geküsst und die Sonnenstrahlen ließen unsere Seelen baumeln. Als wir gerade die wunderschöne Butterblumenwiese betrachteten, küsste mich die Muse und dieses Märchen entstand. Die gelbe Butterblume klagte eines Tages dem Löwenzahn ihr Leid: „Ich werde sowohl von den Menschen als auch von den Tieren gemieden, weil sie genau wissen, dass ich giftig bin. Mich mag einfach niemand. Du aber wirst im Frühjahr als Salat verwendet, deine Blüten werden zu einem wunderbaren Honig verarbeitet. Sie übersehen mich und ich darbe in der Wiese ein karges Dasein. Du stehst bei den Menschen hoch im Kurs, denn auch die Weidetiere fressen dich sehr gerne, du bist hoch angesehen!“
Dem Löwenzahn tat das Goldblümchen leid und er erbarmte sich und sprach der kleinen Butterblume Mut zu: „Deine Blüten sind in einer Wiese so wunderschön anzusehen, also lass‘ dein zartes Blütenköpfchen nicht hängen! Wenn die Menschen die Wiese betrachten, dann erfreuen sie sich an deinen Gelbtönen, glaube mir!“ In diesem Augenblick gab es eine heftige Windböe und die Köpfchen der beiden wurden hin und her gebeutelt. Jetzt klammerte sich das Butterblümchen an den starken Löwenzahn und die beiden überstanden die heftigen Windstöße ohne Schaden. Herr Löwenzahn aber küsste plötzlich das Butterblümchen leidenschaftlich und innig und das Goldblümchen erwiderte seine Liebkosungen nur allzu gerne. Es vergingen nur wenige Stunden und die beiden wurden ein Liebespaar. „Ich werde dich immer lieben, aber bedenke, dass sich meine gelbe Blüte in einigen Tagen in grauweiße Flugschirmchen verwandeln wird. Bis zu dieser Veränderung können wir uns gegenseitig bei Wind und Wetter unterstützen und unsere Liebe genießen! Wir müssen mit der Gewissheit leben, dass unsere Liebe nicht für immer bestehen kann“, sagte der Löwenzahn ein bisschen traurig. Die Butterblume glaubte nicht daran, dass der Löwenzahn sie jemals verlassen könnte und so schaukelten sie mit ihren Köpfchen im Wind hin und her und gaben sich innige Küsse. Es verging mehr als eine Woche und plötzlich entwickelten sich aus der gelben Löwenzahnblüte weißgraue zarte Fluggebilde. „Jetzt ist es soweit, mein Liebling, der Abschied fällt mir sehr schwer, aber als Pusteblume werde ich durch den Wind weit fortgetragen! Lebe wohl, wir werden uns wohl niemals wiedersehen!“
Das Goldköpfchen weinte bitterlich und konnte es nicht fassen, dass ihre große Liebe so schnell zu Ende gehen sollte. Es schluchzte und war verzweifelt: „Ich werde dich niemals vergessen! Eine gute Reise wünsche ich dir, aber ich bin mir sicher, dass wir uns im nächsten Jahr wiedersehen werden.“ Die Worte der kleinen Butterblume vernahm der Löwenzahn und er dachte sich: Wenn mich im nächsten Jahr niemand pflückt oder isst, dann werde ich vielleicht meine Liebste wiedersehen, denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt!
© Christine Büttner 2023-05-23