Der Mann im Föhn

Malte Leyhausen

von Malte Leyhausen

Story

Mein Vater ging regelmäßig mit uns Kindern schwimmen. Für Sport hatte er viel übrig, auch wenn er keinem Verein angehörte. Mein großer Bruder übernahm die Rolle des Spitzensportlers in der Familie und brachte uns als Welt- und Europameister im Formationstanzen in Standard und Latein Ehre. Ich brachte es zu keinem Titel. Weder im Sport noch in anderen Bereichen. Die einzige stumme Linie zwischen mir und der Welt der Prominenten ist, dass meine erste Freundin Bundesministerin wurde. Meine erste Verlobte sitzt im Berliner Senat. Aber an mir lag es bestimmt nicht.

Zurück zum Sport. Manchmal verabredete sich mein Vater mit einem Nachbarn zum Tennis. Rudern spielte in seiner Kindheit am Rhein eine große Rolle. Einmal ging er mit uns im Restaurant des Düsseldorfer Ruderclubs essen, was in seiner Jugend den Besserverdienern vorbehalten war. Unter Rudern und Paddeln stellte ich mir als Kind das Gleiche vor. Meine Oma und meine Großtante erzählten, dass sie früher oft mit einem Faltboot tagelang den Rhein hinunter gepaddelt sind und auf den Zwischenstationen im Zelt übernachtet hatten. Als Alarmanlage diente nachts ein Bündel Blechdosen, die an das Boot gebunden wurden. Dann hätte es gehörig gescheppert, wenn ein Dieb mit dem Boot davon geschlichen wäre.

So ein Faltboot lernte ich bei meinem Großonkel kennen, wenn ich mit ihm auf der Mosel paddelte. Dass er im Zweiten Weltkrieg bei der Marine mindestens Zeuge von Kriegsverbrechen wurde, erzählte er mir erst später. Obwohl dieser sehr einfache Großonkel ein ansonsten mitfühlender und friedliebender Mann war, der montags den SPIEGEL las und stets SPD wählte, konnte ich ihn nicht von seinen antisemitischen Vorurteilen abbringen. Die Diskussion endete jedes Mal mit seinem hilflosen Totschlagargument: „Du hast die Zeit ja nicht miterlebt!“ Als ich dann fragte, ob er sich wieder Hitler an der Regierung wünschen würde, sagte er zum Glück: „Um Gottes willen!“.

Was wir mit meinem Vater im Schwimmbad genau machten, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nur noch an die Sammelumkleide erinnern und an das Haaretrocknen hinterher. Im Flur des Schwimmbads hing an der Wand in Kopfhöhe ein kastenartiger Föhn. In der Mitte des Kastens ragte ein Rohr nach unten, aus dem die heiße Luft strömte. Mein Vater nahm gerne eine Socke und stülpte sie über die Düse. So war nur noch der Kasten zu sehen, aus dem sich ein Fuß zu strecken schien. Und Manfred zeigte zuverlässig auf die prall gefüllte, heiße Socke und sagte: „Guck mal, da ist ein Mann im Föhn!“

Das fand ich immer sehr lustig und ich schaute mir von meinem Vater diese kreative Denkweise ab. Wo lässt sich aus etwas Alltäglichem die humorvolle Seite herauskitzeln? Wenn ich heute eine Salatgurke schneide, mache ich als Erstes an der Spitze einen kurzen Längsschnitt. Schon öffnet sich das „Maul“ der Gurke. Unverkennbar hat sich die Gurke in einen Delfin verwandelt! Wenn Sie ihr in den Schlund schauen, werden Sie mir sofort recht geben …


© Malte Leyhausen 2024-10-03

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Biografien