Der Mann in der senffarbenen Cordhose

Kosmospoesie

von Kosmospoesie

Story

Ich will so kaputt gehen, dass niemand mehr irgendwas an mir kaputt machen kann. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir schlechter geht, wenn ich die Schule nicht besuche.»Deine Kraft macht mich vorübergehend unsterblich. Ich habe deinen Ausdruck nicht vergessen. Deine kranken Augen sind noch immer in meinem Kopf. Seit dem vierten August. Ich sah dich auf dem Weg nach Hause. Hauptbahnhof, Köln, Gleis zehn, Samstag, fünf Uhr morgens. Da wusste ich noch nicht, wo du hin musstest. Glaubst du auch an sowas wie Schicksal? Denkst du, Gott mischt die Karten und hat bei uns geschummelt?Vierundzwanzig war auch gar nicht so alt. Ich erinnere mich noch genau, wie versteinert ich neben dir stand. Konnte kein Wort sagen, zunächst. Ich sah dich an und für Bruchteile von Sekunden blieb die Welt um mich herum stehen. Du warst so viel älter als ich, ich war nüchtern und du warst – was du warst, muss ich dir ja nicht sagen. Ja, mich erinnert noch ganz genau, wie du da auf der weißen Begrenzungslinie standest, mächtig nervös, deine letzte Zigarette aufrauchend…in den engen, senffarbenen Cordhosen sahst du hübsch aus. Sie passten zu deiner hellblauen Bluse, die Knöpfe fast durchgehend offen. Nicht so krank und zerstört wie sonst, wenn wir uns zufällig trafen. Nein, vierundzwanzig Jahre ist gar nicht so alt.Ab da habe ich wirklich wieder jede Nacht an deine kranken, ozeanblauen Augen gedacht. Sie schwirrten in meinem Kopf herum und wurden allmählich lästig. Du warst ein junger Mann, dessen Aura mich höllisch in seinen Bann zog. Machtest mir Angst, das sympathisierte mir. Dein negatives Da-Sein faszinierte mich. Und ich fand es gut, sehr gut sogar. Ich habe dein Lieblingslied Knights von den Crystal Castles tagelang rauf und runter gehört. Duuuuuu. Nur noch du. Und ich bin im August trotzdem nie zurückgekehrt, zu dir in die Südstadt.Ich war wieder an dem Ort, gestern. Habe dich gesucht. Ich wollte dich haben. Denn jetzt, da bin ich vierzehn und bereit für Sex. Ich habe deine Augen überall inmitten der vielen Lichter gesucht. Bin zig Mal am Tag mit der S-Bahn nach Messe/Deutz gefahren, nur um zu hoffen, dass wir uns wiedersehen. Was die Schaffner dachten, war mir gleichgültig. Ich wollte dich. Dich haben. Bei Tag, bei Nacht, ich fuhr. Ich frage mich oft, wie du wohl jetzt lebst. Und ob du glücklich bist, mittlerweile vielleicht eine Arbeit hast. „Mädel, ich bin zu drauf, um mit dir zu reden. Außerdem ficke ich keine Kinder.“ Ich hatte Angst vor zugekoksten Männern. Aber du warst so lieb. Das sind sie immer, wenn man jung und hübsch ist. Ich weiß doch, dass deine Nähe auf Dauer Gift für meine Psyche gewesen wäre.«

© Kosmospoesie 2021-06-05

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